Die Herzneurose ist nicht immer eine Neurose

EKG

Eine Darstellung des Herzschlags in der Medizin. © Juhan Sonin under cc

Der Name Herzneurose hat sich zwar eingebürgert, Herzangst wäre aber treffender, schon weil die Herzneurose gar nicht immer eine Neurose ist. Eigentlich ist die Herzneurose ein Hybrid, das heißt, sie umfasst mehrere Krankheitsbilder. Hypochondrie, Organneurose, Angst– und Panikstörungen, später auch gerne mal mit Depressionen versehen, weil nichts im Leben mehr Spaß macht, wenn die in schweren Fällen sehr belastende Erkrankung länger andauert. Sie kann oft auch im Rahmen schwerer Persönlichkeitsstörungen vorkommen.

Doch der nächste Schritt ist für alle betroffenen Menschen schwierig, die Übersetzung von dem Gefühl eine organische Erkrankung zu haben in das Empfinden dafür, dass es die Psyche ist, die sich hier ausdrückt. Schwierig deshalb, weil man ja den Körper, das Herz merkt, immer und immer wieder und sich zunächst auch schwer vorstellen kann, dass es nicht das Herz sein soll, sondern eine psychische Spannung. Dem einen gelingt es schneller, dem anderen langsamer.

Für einige ist es eine Offenbarung und Erlösung. Da die Angst, dass man herzkrank ist bei der Herzneurose groß ist, ist man dankbar, wenn dies nicht der Fall ist, aber die Geschichte ist damit noch nicht vorbei, denn nun muss man sich ja der Psyche zuwenden, da hier der Hund begraben liegt und man in der Regel keine Ahnung hat wie es nun dort weiter gehen, sprich, was man machen soll. Dabei muss man verschiedene Schweregrade der Herzangst unterscheiden.

Der leichte Grad der Herzangst

Der leichte Grad ist harmlos und in aller Regel schnell vorbei. Das sind jene Fälle, in denen den Hausarzt sagt, dass alles in Ordnung ist, ein wenig Entspannung und ein paar Tage Urlaub empfiehlt und dann ist alles gut. Das zugrunde liegende Ereignis war nicht lange und intensiv genug, um tiefe Spuren in der Psyche zu hinterlassen. Man schüttelt sich und bald ist das Ereignis wieder vergessen, eventuell hat man eine Kurzzeittherapie gemacht oder eiinen Volkshochschulkurs besucht, in denen man ein wenig lernte zu entspannen und seine Gedanken zu kontrollieren.

Doch nicht alle Fälle verlaufen so mild.

Der mittlere Grad der Herzangst

Wie erwähnt ist das Problem, dass man bei einer Herzneurose, das was man nicht hat, dennoch ständig merkt – ein Problem in der Herzregion. Vielleicht ist man auch hier nach dem Arztbesuch erleichtert, denkt ein paar Tage an nichts Böses und dann kommen plötzlich unerwartet die Symptome wieder. Man ist irgendwo beim Einkaufen, bei der Arbeit, hat sich vielleicht körperlich etwas, aber auch nicht zu viel angestrengt und wie aus heiterem Himmel sind da doch wieder die Beschwerden. Es pocht, es wird eng, man atmet schwer, das Herz beginnt schneller zu schlagen, vielleicht beginnt man zu zittern oder zu schwitzen, in diesen Fällen ist Unruhe nicht mehr das richtige Wort, eine große Sorge und Angst ist im Spiel, vor allem ist man niedergeschlagen, weil man dachte und hoffte, es sei nun alles weg, zumindest besser. Dann wieder die Anfälle aus heiterem Himmel. Man wird dünnhäutiger, unsicherer, ängstlicher.

Es kommen Zweifel auf, ob der Hausarzt noch der richtige Ansprechpartner ist, schließlich wird man seine Symptome nicht los. „Der hat keine Ahnung, glaubt mir nicht oder nimmt mich nicht ernst“, könnten Phantasien sein, die auftauchen. Man erwägt zum Spezialisten zu gehen, die Beruhigung ist größer, wenn der auch nichts findet, was aber nicht zwingend bedeutet, dass die Symptome damit weg sind. Es kann helfen, wenn einem eine fachliche Autorität sozusagen Absolution erteilt, da dies einen starken Placeboeffekt auslöst, aber nicht immer reicht das aus.

Es gibt einen weiteren psychischen Knacks, wenn die Ereignisse aus heiterem Himmel nicht aufhören, das Selbstvertrauen schwindet, man hat das Gefühl, nicht mehr der zu sein, der man mal war und beginnt schleichend etwas zu verzweifeln, weil man nicht weiß, was man jetzt tun soll. Wenn man Glück hat, bekommt man Wind davon, dass es sich um ein psychisches Problem handeln könnte, doch das heißt nicht unbedingt, dass man auch daran glaubt, zu eindeutig manifestiert sich das Problem am Herzen und oft meint man auch, nicht der Kandidat für psychische Probleme zu sein, weil man sich bisher eher als stark erlebt hat. Da gäbe es andere und denen geht es doch auch gut.

Beim mittleren Schweregrad verschwinden die Probleme nicht ohne weiteres, sie treten öfter auf und schütteln den Betroffenen kräftig durch, Angst und Ohnmachtsgefühle schwappen manchmal über in Paniksituationen, die noch mehr verunsichern. Vielleicht braucht nicht jeder eine Psychotherapie, manche können sich mölicherweise auch am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen, indem sie ihr Leben radikal und nachhaltig verändern, sich anders ernähren, entstressen, regelmäßig Sport machen und wieder neue Erfolgserlebnisse zu haben und das Gefühl, dass aus der Ohnmacht wieder Kontrolle wird. Wenn die Versuche in Eigenregie nicht schnell besser werden, sollte man sich zum Psychotherapeuten bewegen.

Der schwere Grad der Herzangst

Die Herzneurose ist generell kein Vergnügen, in der schweren Form jedoch ein Alptraum. Die Angst vor einem drohenden infarkt steigert sich zu immer wieder kehrenden Panikattacken die mit Todesängsten einhergehen. Hier geht es um alles, um existentielle Dimensionen von Leben und Tod und einer tiefen Verzweiflung, die einen fragen lässt, ob das so alles noch Sinn hat, da man sich peinigenden Attacken aus heiterem Himmel ausgesetzt fühlt. Es gibt keinen sicheren Ort mehr, auch zu Hause im Bett kann einen der Tod überfallen und man erkennt, dass jede Sicherheit nur eine Scheinsicherheit ist.

Die entscheidende Frage ist: Kann man daran sterben, oder nicht? Gewöhnlich wird die Fragen mit’‚Nein‘ beantwortet und gesagt, dass man an Angst und Panik nicht sterben kann. Doch das stimmt nicht und heute findet man leicht heraus, dass es nicht stimmt. Als Faustregel gilt zwar, dass Menschen mit einer Herzneurose länger leben als andere und auch statistisch seltener an irgendwelchen Herzerkrankungen sterben, da sie sehr auf ihr Herz achten und alles Schädigende zu vermeiden versuchen. Mit einer Herzneurose gibt man allerdings wenig auf Statistik, vor allem im fortschrittenen Stadium, denn zu den schweren Formen gehört oft, dass man aufgrund der hohen Verunsicherung, die nicht selten mit einer Ich-Schwäche einhergeht, auf maximale Sicherheit setzt. Die kann man nicht erreichen und es beginnen Denkschleifen des Katastrophisierens, dass selbst wenn jetzt alles in Ordnung sein sollte, das keine Garantie ist, dass man nicht morgen dennoch stirbt. Man weiß, dass man an Stress und Angst sterben kann und traut jenen nicht mehr, die dennoch sagen, dass dies hoch unwahrscheinlich ist, da hohe Unwahrscheinlichkeit keine letzte Sicherheit bietet.

Viele Herzneurotiker lesen und wissen viel über das Herz, vor allem seine Symptome und was alles schief gehen kann. Man findet sich in einer kafkaesken Situation scheinbarer Ausweglosigkeit wieder. Man weiß, dass Ausdauersport gut wäre, doch sobald man sich anstrengt und sei es nur, dass man eine Treppe hochgeht, spürt man sogleich wieder das Pochen des Herzens, spürt Atemnot, Enge, Druck, Angst. Arbeit täte gut, aber auch das traut man sich längst nicht mehr zu, jede kleinste Anforderungen und Belastung bringt dass dünnhäutige Ich aus dem Gleichgewicht und nichts scheint zu helfen, die gelegentlichen ärztlichen Versicherungen, da sei nichts, klingen wie Hohn, man weiß es besser, eines Tages liegt man Tod da, dann wird es den anderen Leid tun.

Denn die Gewissheit, dass man ein bestimmtes, zu aufregendes Ereignis nicht überleben wird, ist keinesfalls erfunden. Sie wird als real erlebt und ist mit wahnsinnigen Ängsten verbunden, das Leben in so einer Phase ist das Gefühl jeden Tag vor der baldigen Hinrichtung zu stehen, von der man nur nicht weiß, wann sie kommt, dass sie kommt, dessen ist man sich gewiss.

Aus Rücksicht auf sein Herz vermeidet man es ohnehin schon länger am Leben teilzunehmen, doch es gibt kaum noch glückliche Momente und Winkel, in denen man sich verstecken könnte, selbst wenn da jetzt gerade keine Akutsympotme sind, man weiß, sie lassen nicht lange auf sich warten und hat sein leben nun völlig umgestellt.