Kreuz, Herz, Anker

Glaube, Liebe und Hoffnung schützen das Herz. © d.loop under cc

Die Herzneurose oder Herzangst ist eine organisch nicht begründbare Angst davor, an einer latent oder akut gefährlichen Herzerkrankung zu leiden, vor allem, unmittelbar vor einem Herzinfarkt zu stehen.

Die organische Nichtbegründbarkeit ist der Knackpunkt und wie bei nahezu allen Erkrankungen aus dem psychosomatischen Spektrum, auch das was der Herzneurotiker zunächst nicht einsehen kann. Wie schlägt Ihr Herz gerade? Merken Sie es? In aller Regel bemerken wir unseren Herzschlag nur im Rahmen großer körperlicher Anstrengungen, nach einem größeren Schreck oder großer Angst, sonst nicht. Wenn Sie genau drauf achten, können Sie Ihren Herzschlag vielleicht auch jetzt bemerken. Herzneurotiker bemerken ihn in schweren Fällen immer.

Das ist zwar organisch ohne pathologische Ursache, aber oft nicht ohne Grund. Vielleicht erlebte man eine Situation mit großer Angst, die man nicht verarbeiten konnte, vor noch nicht zu langer Zeit oder lange zurückliegend, oft irgendwann in der Kindheit. In so einer Situation schlägt das Herz, aber hier erscheint es angemessen, da man eben Angst hat und der Körper wachsam ist und uns auf Kampf oder Flucht vorbereitet. Ist die Situation vorbei, ist scheinbar wieder alles gut. Da die Psyche im allgemeinen robust ist und viele, auch belastende Eindrücke gut verarbeiten kann, erledigt sich das einer Vielzahl von Fällen, im wahrsten Sinne im Schlaf, die Sache ist vorbei.

Ganz anders beim Menschen mit Herzangst, der sich eines Tages in einer vermeintlich harmlosen Situation wiederfindet und auf einmal bemerkt, dass sein Herz kräftig schlägt, vielleicht kurz stolpert oder schneller als gewöhnlich pocht. Da es in der Situation keinen erkennbaren Grund gibt, weil eigentlich man in keiner unbekannten oder gar angstbesetzten Situation ist, löst das unbekannte Gefühl jetzt bei einigem Menschen Sorge aus. Was ist da los? Der erste Impuls ist verständlich: Die Menschen, die das Erlebnis nicht vergessen können, sind nun besorgt, irritiert und haben Angst, begreiflicherweise, um ihr Herz. Gewöhnlich geht man nicht gleich zum Arzt, sondern wartet erst mal ab. Vielleicht war es ja nur ein Ausrutscher. Beim Herzneurotiker ist es keiner, das merkwürdige Ereignis kommt wieder, die Sorge vergrößert sich, was ist da los?

Man checkt kurz durch, welche Risikofaktoren man hat: Alter, Geschlecht, Rauchen, Vorerkrankungen, Blutdruck, Stress, Cholesterin, Lebensstil all das hat einen vielleicht vorher nicht so interessiert, weil er Körper ganz gut funktionierte, aber irgendwie ist da das beängstigende Gefühl, dass da irgendwas nicht stimmt. So ganz genau möchte man es aber eigentlich in den meisten Fällen doch nicht wissen, wird schon wieder. Man googelt was helfen könnte, versucht sich etwas weniger anzustrengen, Stress zu vermeiden, schließlich hat bisher immer jede Menge ausgehalten. Mal ist die Sorge etwas größer, mal gibt es Momente in denen sie weg ist, man nimmt pflanzliche Beruhigungsmittel, erforscht, ob da kürzlich irgendwas war, doch wenn man sich online informiert hat, kennt man auch die Symptome von Herzerkrankungen, achtet gewöhnlich nun auch auf diese und wenn man sich einer Region, einer Missempfindung, einem Schmerz oder einer Spannung zuwendet, werden sie zunächst erst mal größer. Beim Herzneurotiker ist das auf alle Fälle so.

Bei Menschen mit Herzangst verschwindet die Sorge nicht, sie kommt und geht, geht und kommt, wird immer drängender, quälender und trotz aller Beruhigungs- und Entspannungsverfahren, die man sich vielleicht selbst verordnet hat. Wenn es nicht besser wird, kommt der Tag, an dem man kapituliert und der Realität ins Auge sehen muss, ein Tag, der oft mit schlimmsten Befürchtungen einhergeht, man entscheidet sich, zum Arzt zu gehen.

Der Gang zum Arzt

Auch Ärzte nehmen die Symptome eines drohenden infarkts berechtigterweise ernst, so dass der Erstkontakt nicht selten ein Notfallkontakt während einer erneuten Attacke ist. So oder so, wenn es sich um eine Herzneurose handelt, ist die Befürchtung maximal und der Patient denkt, dass dies der Tag ist, der sein Leben für immer verändern wird, der Gang zum Arzt ist für viele Herzneurotiker daher der Gang zum Schafott. Umso überraschender dann die Diagnose, die im Fall der Herzneurose stets lautet: Da ist nichts!

Ein erlösende Botschaft und für einige wenige so erlösend, dass sich die ganze Anspannung auflöst und man sich allerhöchstens ärgert, dass man sich so lange gequält hat und nicht schon eher zum Arzt ging. Das ist der optimale Verlauf. Eine Variante davon besteht darin, dass man sich von nun an in regelmäßigen Abständen vom Arzt bestätigen lässt, dass man herzgesund ist und so bestimmte Ängste im Zaum halten kann.

Es kann aber auch sein, dass jemand erleichtert nach Hause kommt, tief durchatmet, sich freut, dass alles gut ausgegangen ist und 14 Tage später die nächste Attacke bekommt. Auf einmal sind die Sorgen wieder da, dazu noch Zweifel an der Kompetenz des Arztes. Die Maschine rollt wieder. Ruhe- und Belastungs-EKG macht noch der Hausarzt, Befund: Alles soweit okay. Nach zwei, drei weiteren Attacken kommt vielleicht die Überweisung zum Spezialisten, dem Kardiologen. Dasselbe Prozedere, dazu Sonographie des Herzens, Blutuntersuchung, vielleicht 24 Stunden EKG, alles soweit unauffällig. In die zwischenzeitliche Entlastung mischen sich aber zugleich Zweifel und Scham. „Ich bilde mir doch nichts ein. Da ist doch wirklich was.“ Auch hier gibt es die stille Choreographie des „richtigen Krankseins„, die nicht goutiert, wenn man „nichts hat“.

Das Herz ist da ein dankbares Organ, weil es sogleich ein Feedback gibt. Wendet man sich ihm zu, spiegelt es sogleich die emotionale Situation. Das tut es eigentlich immer, nur bemerkt man es normalerweise nicht. Der Herzneurotiker schon, er steht in immer engerem Kontakt zu seinem Herzen, leider in einer etwas pathologischen Beziehung. Die Herzneurose wird oft nicht oder spät diagnostiziert. Der Grund ist das ewig gleiche Dilemma. Der Patient fühlt sich nicht ausreichend ernst genommen und denkt, sein Arzt würde ihn ebenfalls nicht ernst nehmen, was in einigen Fällen durchaus sein kann, weil auch Ärzte mit psychosomatischen Erkrankungen oft nichts Rechtes anzufangen wissen. So tauscht man sich, da auch der Arzt die, ebenfalls manchmal berechtigte, Sorge hat seinen Patienten zu verlieren, eher auf der Ebene der Symptome, Beschwichtigungen („Machen Sie Sich keine Sorgern“) und was man jetzt noch machen könnte (ein paar Tage Urlaub), aus. Spätestens jetzt wäre eine Psychotherapie angezeigt, aber hier sind wir mitten im Dilemma, weil viele „psycho“ immernoch mit „Sie bilden sich was ein“ übersetzen.

Die Aufmerksamkeitsvergrößerung

Aber trotz exotischer Tests und stärkeren Beruhigungsmitteln bleibt das Problem oft erhalten und die Aufmerksamkeit die man dem Herzen schenkt, begleitet in schweren Fällen so ziemlich jede Lebenssituation. Es gibt eigentlich nichts mehr, was so richtig schön und entspannend ist, da jede körperliche und emotionale Anspannung das Herz stärker und schneller klopfen lässt, misst man auch noch unaufhörlich Blutdruck und Puls wird die Sache nur schlimmer, der Nachteil ist, man spürt den Puls auch so die ganze Zeit. Ist man einmal in diese Richtung sensibilisiert, wird man immer besser und bekommt nun jede Reaktion des Herzens mit.

Dass man auf sein Herz hört, ist schon richtig, nur ist es die falsche, weil vordergründige Ebene. Das Herz gehört ja zu mir, Psychosomatik, richtig verstanden, heißt ja, dass Psyche und Soma (Körper) eine Einheit sind. Die feinen Reaktionen des Herzens, auf die man so gedrillt ist, sind die eigenen Reaktionen. Das Herz reagiert, weil ich reagiere, es hüpft, stockt oder pocht, weil in mir, in meiner Gefühlswelt gerade etwas passiert, im Falle einer Herzneurose leider oft etwas, was mit Sorge und Angst zu tun hat oder so übersetzt wird.

Die Herzneurose ist entgegen den allermeisten anderen psychischen und/oder psychosomatischen Erkrankungen eine, die überwiegend (zu etwa 60%) Männer befällt. Männer sind nicht besonders darauf trainiert auf sich und ihre Psyche oder ihrem Körper zu achten, die Angst ums Organ trifft sie daher auch auf einer anderen Ebene wie ein Stich ins Herz, weil das Herz ein Zentralorgan der Leistungsfähigkeit ist. Ihre Leistungsfähigkeit zu verlieren ist etwas, was gerade Männer besonders beeindruckt und trifft, hier werden sei hellhörig.