Berichte über das Internet und ernsthafte Kritik an demselben sind meistens ein Nichtthema. Der zweitwichtigste Grund: Irgendwie meint man das alles schon mal gehört zu haben und genug zu wissen, um nicht noch mal alles durchzukauen, andererseits weiß man irgendwie nicht genug, um sich effektiv vor den Gefahren zu schützen oder man kennt sich so gut aus, dass man auch weiß, dass es letztlich keinen effektiven Schutz gibt.
Irgendwas ist gerade anders geworden und man staunt eigentlich, denn die großen Datenkraken tun genau das, was sie all die Jahre zuvor auch gemacht haben, nämlich radikal so ziemlich alles an Daten zu sammeln, was man kriegen kann, diese Daten zu persönlichen Profilen zu verdichten, denen Kenner kinderleicht Klarnamen, Adresse, Telefonnummer und dergleichen zuordnen können und diese Daten dann verkauft. Besonders Facebook ist in diesem Zusammenhang ins Visier geraten. Hier kursieren unterschiedliche Varianten. Die einen sagen, dass die Daten bei Facebook bleiben und potentielle Käufer lediglich ihre Werbung sehr gezielt anbringen können. Beliebig detailliert kann man so beispielsweise alle Frauen unter 30 aus dem Ruhrgebiet, die Kinder haben und gerne Rad fahren finden, weil man genau für diese ein Angebot hat und somit nur diese Gruppe erreichen will. Die anderen sagen, dass man mindestens über bekannte und nahe Umwege Datensätze kaufen kann, auf deren Basis sich sehr viel entschlüsseln lässt, vom Einkommen über den Alkohol- oder Drogenkonsum, bis zur politischen oder sexuellen Einstellung.
Die erste Gruppe meint, dass das Geschäftsmodell von Facebook nur funktioniert, wenn und weil die Daten bei Facebook bleiben, denn wenn sie diese aus der Hand gäben, sei ihr Wissen ja buchstäblich nichts mehr wert, weil ja nun jemand anderes dieselben Daten hat. Aber das ist zu kurz gesprungen, denn erstens, muss man nicht alles herausgeben, was man von jemandem weiß, zweitens ändern sich die Daten ständig und zwei Jahre später kann sich die Situation von jemandem durch Ehe, Scheidung, Jobwechsel, Umzug, Kinder oder beliebige Kombinationen recht radikal geändert haben. Wenn ich jemandem etwas verkaufen will, muss ich wissen, was ihn genau jetzt interessiert und was seine finanziellen Möglichkeiten heute sind, nicht vor zwei Jahren.
Aber das alles kannte man entweder oder wähnte sich in unbeschwerter Naivität geschützt, weil man irgendwo ein Häkchen gesetzt hat und nun meint, Websites würden einen jetzt tatsächlich nicht mehr verfolgen oder weil man irgendwen kennt, der einem den Computer vermeintlich sicher macht oder ganz einfach glaubt, dass man ja nichts zu verbergen hat. Irgendwie ist das ja auch eine Einstellungsfrage. Wer die Idee der Privatsphäre vollkommen antiquiert findet und für wen es völlig normal ist, weil er damit aufgewachsen ist, dass man einfach alles teilt und andere fortwährend an seinem Leben teilhaben lässt, für den ist es nun wirklich kein Schreckensszenario, wenn man ein Foto von sich im Netz findet.
Berufswunsch YouTuber
Zumal der ernstgemeinte Berufswunsch junger Menschen heute ist YouTuber oder Vlogger (Video-Blogger) zu werden oder Influencer, wie es manchmal von außen genannt wird. Da gehört es zum guten Ton, oft, live und aus der eigenen Wohnung möglichst alles in die weite Welt der Internetcommunity mit ihren 100.000en an Followern zu senden. YouTuber sind heute Popstars und wenn die Teenies ihren Stars begegnen, reagieren sie auf diese, wie die früheren Teenies auf ihre Helden, die meistens Musiker waren: die Beatles, Smokie, Take That, die Spice Girls oder Tokio Hotel je nach Jahrzehnt. Mit Tränen und Kreischen, bis zur Ohnmacht. Tatsächlich nehmen nach einer Umfrage unter US-Teenagern Vlogger die ersten Fünf Plätze der beliebtesten Stars ein. Sänger, Schauspiel und Sportler erscheinen dort nicht.[1] Die älteren Semester stehen fassungslos vor dem Phänomen, schon weil die Idee, dass man besondere Fähigkeiten braucht um YouTuber zu sein, am Zeitgeist vorbei geht. Dass die ja gar nichts können, ist daher kein Gegenargument, ganz im Gegenteil ist die radikale Normalität das Markenzeichen der Influencer. Eben dadurch, dass sie nichts können und nicht besonders sind, sind sie die idealen Projektionsfläche, denn nicht besonders sind ja viele und im Grunde ist dieser Trend eine nicht mal unlogische Antwort auf die Trends der normalen Gesellschaft, nach immer mehr Optimierung und Ausgrenzung.
In Was macht den Extremismus attraktiv?, zeigten wir auf, dass die Antwort auf die Ausgrenzung durch die Mainstream Gesellschaft oft ist, die besonders abgelehnten Attribute in eine eigene Stärke zu verwandeln. Man ist dann besonders, gerade weil man jemand ist, den die anderen nicht mögen. So wird man über Nacht vom vermeintlichen Loser zum Star oder Auserwählten. Die heutigen Influencer gehen in dem Sinne noch einen Schritt weiter und verzichten auf jedes besondere Attribut. Man muss nicht ausnehmend hübsch, eine brillante Sängerin, ein charismatischer Schauspieler oder wenigstens originell sein, es reicht, dass man möglichst authentisch ist, oder zumindest so rüberkommt. Welches Teenie-Mädchen kommt nicht hochbeglückt vom Shoppen wieder und freut sich über das, was sie gekauft hat? Wenn sie das obendrein noch teilen kann, ist das Glück perfekt.
Mehr oder weniger süffisant versuchen manche das Phänomen zu entzaubern, indem die darauf hinweisen, dass die ach so authentische YouTuberei vor allem eines ist: Eine gut kalkulierte und technisch oft perfekt ausgeleuchtete und mit neuestem Equipment ausgestattete Show, bei der vor allem Modelabels oder Drogeriemarktketten frohlocken, weil Influencer großartige Werbeflächen und Multiplikatoren sind. Doch das zieht nicht, denn die Kids sind überzeugt, dass ihre Helden dennoch authentisch sind und die Produkte mögen, die sie da begeistert in die Kamera halten. Dass man damit obendrein noch viel Geld verdienen und berühmt werden kann, verlockt sie eher, das macht den Zauber der Veranstaltung ja gerade aus. Der Schuss ging nach hinten los.
Mehr Narzissmus und Einsamkeit durch das Internet?
Ein bisschen wie beim Narzissmus, wie Narzissmusforscherin Jean Twenge Glauben berichtete. Sie forschte vor allem über den Einfluss des Internet auf die Entwicklung des Narzissmus und sieht es als eine hohe Gefahrenquelle an. Auch hier war die Überraschung eher auf Seiten der Forscherin, denn als sie ihre Studenten damit konfrontierte, dass sie hohe Narzissmuswerte aufwiesen, reagierten diese keineswegs entsetzt, sondern eher gelassen. Sie sahen sich durchaus als narzisstisch an, meinten aber, dass das eine Eigenschaft sei, die man heute eben brauche.
Diese Ideen greift auch der Psychiatrieprofessor Manfred Spitzer auf, der spätestens seit Digitale Demenz zu den scharfen Kritikern des Internet, vor allem beim zu frühen Kontakt von Kindern mit dem Internet, zu zählen ist. In Mediensucht sind wir auf die pointierten, manchmal aber auch übertrieben zugespitzten und fragwürdigen Aussagen Spitzers eingegangen. Leider ist er diesem Stil offenbar treu gebleiben, SPON Kolumnist Christian Stöcker bezeichnet diese Art der Darstellung inzwischen als die Methode Spitzer und setzt ein Gegengewicht. Spitzers neueste Thesen sind, dass Einsamkeit und Narzissmus, hier folgt er Jean Twenge, Folgen des zu großen Internetkonsums sind. Vielleicht sollte man formulieren: sein könnten?
Wohltuend anders ist da das Buch des Bloggers Schlecky Silberstein, mit dem bewusst reißerischen Titel: „Das Internet muss weg: Eine Abrechnung“. Dazu noch im neongelben Umschlag. Der Inhalt ist jedoch, anders als man erwarten könnte, kein wüstes Geschimpfe, sondern eine differenzierte, kenntnisreiche, gut recherchierte und reflektierte Erläuterung dessen, was in den unendlichen Weiten des weltweiten Netzes so passiert.
Auch er weist unter anderem auf die Vereinsamung der Generation Z oder Generation YouTube hin. Facebook gilt dort schon lange als Medium der Elterngeneration, Snapchat ist das Medium der Generation YouTube, da dort die Nachrichten nach dem Lesen sofort verschwinden und die Eltern dort ohnehin nicht zu finden sind. Überwachung mag für diese Generation kein großes Thema sein, Überwachung durch die eigenen Eltern finden die meisten dann doch nicht so spannend.
Allzeit verbunden und doch einsam? Einer der Top-Stars der Vlogger Szene, der Schwede Felix Kjellberg, der sich PewDiePie nennt als Gründe für seinen Erfolg, dass seine Fans ihn als Freund sehen und die Einsamkeit vor dem Bildschirm das verbindende Element ist, was Stars und Fans zusammenbringt. Schlecky Silberstein nimmt das auf und sagt, das heutige Teenager allein in ihren Zimmern sitzen, Hausaufgaben machen oder Computerspiele spielen und dabei YouTubern lauschen.[2]
Das klingt irgendwie komisch bis trist, aber Teenager waren immer schon merkwürdig, das ist sozusagen einer ihrer Hauptzüge und es ist gut, dass es so ist. Bei meinen Recherchen zur depressiven Gesellschaft stieß ich auf den Begriff der Generation Biedermeier, für die Jugendlichen der damaligen Zeit. „Innerlich zerrissen, sehnen sie sich nach Tradition und Privatheit. Doch die Lebensrealität, die die junge Generation am eigenen Leib erfährt, sieht anders aus. In Großstädten wird bereits jede zweite Ehe wieder geschieden, die Familie als Ort der Beständigkeit ist in Gefahr.“ So hieß es damals, in 2011. Einerseits zeitlich nicht weit weg, für einen Teenager jedoch ein halbes Leben.
Und was sie in der zweiten Hälfte mitbekamen, macht nicht gerade mehr Mut, als 2011. Eine zunehmend gereizte bis aggressive Stimmung, das Gefühl wachsender Unsicherheit nehmen zu, gerade auch getriggert durch Echokammern in denen man sich die Bälle gegenseitig zuspielt und sich bestätigt, wie fürchterlich alles ist. Nur sind die Interessensphären von Kindern, Teenagern, Adoleszenten, aber auch darüber hinaus Erwachsenen von 30, 50, 70 oder 90 Jahren doch recht verschieden. Kinder und Teenies haben in der Regel kein größeres Interesse an Politik, zumindest nicht in der klassischen Form. Das sie sich ihre Gegenwelten schaffen, in denen sie einfach nur Freunde wollen, ist durchaus zu verstehen. In einer etwas durchgeknallten Zeit ist man mit den Wunsch nach Normalität und Stabilität offenbar schon auffällig.
Aber so ganz eindeutig sind Bewegungen heute nicht mehr, wenn sie es denn je waren. Denn der Rückzug der Teenies in virtuelle Welten steht in einem gewissen Kontrast zur allgegenwärtigen Präsentation des eigenen Soseins, zu nahezu jeder Zeit, in eben diesen Welten. Privatsphäre existiert da kaum noch und nimmt zukünftig, so prognostizieren viele, immer mehr ab.
Die zwei Seiten des Internet
Droht uns deshalb auch von hier der Untergang? Einsam, narzisstisch, ausspioniert und zum normalen Gespräch kaum mehr in der Lage, dafür politisch radikalisiert und absurden Verschwörungstheorien folgend, ist das der Menschentypus der zukünftig dominieren wird?
Man kennt neben all dem vermeintlichen Schrecken hoffentlich auch seine Gegenbeispiele. Eines ist, dass die Einsamkeit alter Menschen, durch Social Media gelindert werden kann. Wir sind ja in aller Regel nicht von kommunikationsunfähigen Zombies umgeben, sondern sehr viele Menschen sind, in sehr vielen Lebenssituationen erfrischend unauffällig. Doch der wichtigste Grund ist ein anderer: Selbst Kritiker des Internet werden konstatieren, dass das world wide web unser aller Leben umfassender und tiefer verändert hat, als wohl jemals irgendwer zu träumen wagte.
„Es gibt keinen Grund, warum irgendjemand einen Computer in seinem Haus haben wollen würde“, sagte Ken Olsen vom Digital Equipment Corp noch 1977. Darüber können wir heute milde lächeln. Die Gesellschaft teilt sich noch eine Gruppe die vollständig ohne das Internet oder die vorhergehende Ära der Heimcomputer aufgewachsen ist und die oft noch immer mit dem Internet fremdelt; einer Gruppe die groß wurde, während auch Computer groß wurden und einer, die als Digital Natives mit dem Klang des Modems oder allzeit präsenten Smartphones aufwuchsen und -wachsen und sich kaum noch vorstellen können, was man den früher den ganzen Tag über gemacht hat, als man kein Internet hatte. In absehbarer Zeit, wird es nur noch Digital Natives geben. Weltbilder ändern sich nicht durch Argumente und Überzeugungen, sagt man manchmal, sondern dadurch, dass die, die sie vertreten irgendwann aussterben. Sind die Bedenken dann weg?
Hoffentlich nicht. das Internet hat sich so rasant durchgesetzt, weil es vier große Bedürfnisse des Menschen erfüllt, die in umgekehrter Reihenfolge der Bedürfnispyramide aufgetreten sind: Wissen, Spielen, Sex und Kontakt. Es ist großartig, was man heute durch das Internet alles wissen kann, wenn man denn will. Vieles mag oberflächlich sein, aber wer wirklich will, kann in sehr vielen Bereichen tiefer einsteigen und sich von zu Hause aus so umfassend bilden und informieren, wie es vorher nie möglich war. Vielleicht ist das der Aspekte der am seltensten genutzt wird, aber, wer will, der kann.
Für alle die, die sich vorhin gefragt haben, was man denn mit einem Computer macht, der keinen Zugang zum Internet hat: Spielen. Die nostalgischen, Geschicklichkeits- und Ballerspiele, die man früher nur in Spielhallen fand, kamen über diese Personal Computer in die eigenen vier Wände und wurden von primitiven Strichen in Bewegung rasend schnell zu immer komplexeren und bunteren Landschaften, in denen man sich heute mit mehreren, via Internet, tummeln und komplett versinken kann.
Sex und Pornographie ist zwischendurch der größte Bereich des Internet gewesen, die Tatsache, dass die Zahl der Pornofilme in den Jahren in denen sie im Internet frei zugänglich sind um den Faktor 700 mehr geworden sind, spricht für sich. Auf die Nachteile dieser Entwicklung sind wir in Pornosucht und Sexsucht nachgegangen. Vielleicht noch erstaunlicher, dass dies nicht der stärkste Internetbereich blieb, sondern, wie ich vor vielleicht 5 Jahren hörte von den Social Media und ihrem Prinzip des allgemeinen Strebens nach Kontakt abgelöst wurde. Womit wir wieder bei Facebook wären, die dieses Prinzip wie kein anderes Unternehmen erkannten und nutzten.
Man konnte teilen und sich mitteilen und all das ist heute Alltag geworden. Ist das wirklich schlecht? Bedenkenträger gibt es immer. Es gehört heute zum Standardwissen, dass die Sumerer schon vor 3000 Jahren darüber klagten, dass die Jugend verdorben und die Welt daher demnächst dem Untergang geweiht sei, von Pionieren weiß man, dass sie stets übertreiben, ob man neue Länder, Drogen oder Gesellschaftsmodelle entdeckt und ausprobiert und Männer sind schon immer abgetaucht, ob zum Fußball, Motorradwochenende oder in den Heimwerkerkeller. Also alles einfach lassen, wie es ist, alles halb so wild?
Ein neues Bewusstsein?
Irgendwas ist anders geworden, stellten wir fest und die Zeit wird zeigen, ob das mehr als ein laues Lüftchen ist. Eigentlich könnte man sich bei Facebook entspannt im Sessel zurücklehnen und ein paar Wochen warten. Doch offensichtlich scheint man sogar dort nervös geworden zu sein. Einerseits weiß man selbst sehr gut, wie man Trends und Stimmungen erzeugt und beeinflusst, andererseits kann man es schlecht kontrollieren, wenn sich so ein Trend gegen Facebook selbst richtet und solche Bewegungen können immer ungeahnte Dynamiken annehmen. Das hat niemand gerne, der gerne Kontrolle hat und ausübt.
Viele sind emotional an Facebook gekettet. TINA, heißt das Prinzip: There is no alternative. Wer bei Facebook ist, ist überwiegend wegen seiner Freunde da. Man ist dort oft mit der ganzen Familie und bekommt manches einfach nicht mit, ist wie von der sozialen Welt abgeschlossen, wenn man kein Social Media Teilnehmer ist, dem man schnell mal eben ein paar Kurznachrichten in Text oder Sprache, Artikel oder Fotos schicken kann. Und alle gleichzeitig wechseln eben nicht, weil einige der Freunde in weiteren Freundeskreisen sind und so weiter. Dazu kommt, dass Facebook nicht mehr das smarte Start-Up Unternehmen ist, sondern ein milliardenschwerer Wirtschaftskonzern, der mit Daten und Informationen handelt und dessen Rohmassen die Daten seiner Nutzer sind. Und wenn sich wirklich ein Konkurrent am Horizont blicken lässt, wie WhatsApp, wird dieser kurzerhand aufgekauft und schon hat Facebook wieder ein paar Datensätze mehr.
Die Krise scheint groß zu sein, denn bei Facebook ist man offenbar nervös, was man daran sieht, dass überhaupt geredet wird. Nichts nach außen dringen zu lassen und nach Möglichkeit wenig Steuern zu bezahlen, ist das Modell der großen Datenkraken wie Facebook und Amazon, denen man es allerdings in Europa auch leicht gemacht hat. Doch interessanter als das was gesagt wird, ist ohnehin oft das, was nicht gesagt wird. Zuckerberg gibt sich reuig und schaltet ganzseitige Anzeigen, dass sich aber an der Praxis des exzessiven Datensammelns zukünftig irgendwas ändern wird, ist mit keiner Silbe erwähnt worden und auch nicht zu erwarten, denn es ist das Geschäftsmodell von Facebook.
Statt dessen soll dafür gesorgt werden, dass andere die Daten, die Facebook sammelt, nicht abgreifen können, Facebook selbst sammelt fröhlich weiter. Die einen meinen, dass die User für Facebook einfach nur nützliche Idioten seien, doch selbst wenn man die milde Variante unterstellt, die der ehemalige Antonio García Martínez hier darstellt, sitzt man bei Facebook ironischerweise in einer Blase, weil man sagt, man habe den Kunden doch die Möglichkeit gegeben in den Einstellungen alles so zu wählen, wie sie es gerne hätten. Dass die meisten User aber keine Technikfreaks sind, die jede Möglichkeit spielerisch ausprobieren und auch keine kilometerlangen AGBs lesen, weiß man entweder nicht oder man will es nicht wissen und denkt achselzuckend: Dann eben nicht.
Den technischen Möglichkeitsoverkill, kennt jeder von seiner Fernbedienung. Man braucht in der Regel 5 Knöpfe: Programmwahl rauf und runter, Lautstärke rauf und runter, An/Aus. Der Rest wird kaum je benutzt und es ist ja schön, wenn der Toaster einem theoretisch auch noch bei der Steuererklärung helfen kann, doch bis man sich da eingearbeitet hat, ist das Jahr um. Das ist nur leicht ironisch dargestellt und längst hat man auf der Herstellerseite darauf reagiert und so ist Usability das neue Schlagwort. Die Produkte müssen nicht alles können, sondern einfach und intuitiv zu bedienen sein, möglichst ohne, dass man lange Gebrauchsanweisungen studieren muss. Sollte man das ausgerechnet bei den allwissenden Datenkraken nicht wissen? Eher unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass der Fehler System hat. Es ist technisch keinesfalls unmöglich, in klaren und einfachen Sätzen und für alle gut sichtbar, vor jeder Anmeldung zu sagen, was mit den Daten passiert, was das bedeutet und dann das Modell wählen zu lassen, was man wirklich für sich haben möchte.
Alles besser in Europa?
Es wäre falsch zu suggerieren, dass in Europa alles besser ist. „Cracked Labs“, das „Institut für kritische digitale Kultur“ hat unter dem Titel Durchleuchtet, analysiert und einsortiert untersucht, was mit unseren Daten passiert und zukünftig passieren könnte. Der schmutzige Trick daran ist, dass all die Unternehmen, wenn es um ihren Vorteil geht, natürlich nicht mehr leichtgläubig sind und nicht um die Stärken und Schwächen ihrer User wissen, sondern sie wissen sehr genau Bescheid und nutzen dies aus. Natürlich so, dass man selbst scheinbar nur Vorteile davon hat. Fitness Apps können Vorteile bringen. Man kontrolliert seine Fitness und wer keinen Risikosport macht, lebt gesünder und länger und profitiert dafür eventuell von besseren Tarifen bei seiner Krankenkasse. Doch wer sich auf dieses Spiel einlässt, kann es nicht einfach kündigen, wenn ein paar Jahre vergehen, man vielleicht älter, träger, schwerer und kränker wird. Kinder, ein dummer Zufall, Krankheit, die Arbeit oder einfach zehn Lebensjahre und die Welt des fitten Sportlers von Anfang 30 sieht ganz anders aus. Blöd, wer dann individualisierte Tarife hat, dann wird‘s richtig teuer: 10 Jahre gespart, 40 Jahre draufgezahlt, die Rechnung ist einfach und eindeutig.
Mit dem Internet der Dinge kann dieser Trend noch zunehmen und gleiches gilt etwa für das Fahrverhalten: Es klingt gut, wenn brave Fahrer durch bessere Tarife profitieren, doch wenn jedes Auto die Daten es Fahrers sammelt, kann dies schnell ein teuerer Spaß werden, in der oben verlinkten Studie ist das und sind viele weitere Beispiele aufgeführt. Aber auch wie es um Ihre Finanzen, ihre sexuelle Präferenz oder Drogenkonsum steht, könnte interessant sein. Für Versicherungen, Arbeitgeber oder Erpresser. Und auch in Europa und Deutschland gibt es Datenhändler, die unsere Daten zig mal verkaufen, uns überwachen und auswerten, wo immer es geht. Es geht fast immer.
Unterwelt und Unbewusstes
In „Das Internet muss weg: Eine Abrechnung“ beschreibt Schlecky Silberstein auch einschlägige Foren, die er die Hölle des Internet nennt. Sarkasmus, Pornos und Gewaltverherrlichung sind dort an der Tagesordnung und genau so treffsicher wie einige diese Bereiche finden werden und sich von ihnen magisch angezogen fühlen, wird die Mehrheit sich abgestoßen fühlen von einer digitalen Unterwelt, in der gemacht wird, was geht, weil es geht. Der Mainstream ist ganz anders, könnte man meinen.
Allerdings ist das Unbewusste in uns doch nicht so anders, man nimmt es nur nicht so wahr, es läuft subtiler ab. Das Netz füttert uns mit Erregung und wir beißen an, sind längst süchtig danach geworden. Aber bitte nicht zu lange, denn das wird langweilig, man kennt das. Der Erregungslevel muss hoch gehalten werden, bis zum nächsten Event.
So kann Zuckerberg abwarten, sich reuig zeigen und lernen, wie man Krisen übersteht und austesten, bis an welche weiteren Grenzen man gehen kann. Man weiß nicht, was mit Facebook wird, aber darum geht es auch nicht. Es geht um die nächste Umdrehung der Spirale. Kann sein, dass es eine Zeit lang chic wird sich bei Facebook abzumelden und Kunden die weg sind und was anderes gefunden haben, kommen auch nicht mehr wieder. Das wäre der GAU für den Konzern. Vielleicht reicht es aber tatsächlich, die üblichen paar Wochen zu überstehen, bis das Thema langweilt und vergessen wird. Dann kann man irgendwann demnächst ein Häkchen setzen und sich vormachen, dass nun alles anders ist.
Dann sind alle zufrieden und es hat sich nichts geändert. Das „Wir haben verstanden“ ist längst zum billigsten aller Marketinggags verkommen, um dann mit noch mehr Volldampf weiterzumachen, wie bisher. Sie meinen, dass diese Sicht zu negativ sei? Klima, Börse, Stickoxide, Armut und Antibiotika sind die Bereiche, in denen es ganz aktuell genau so läuft und diese Liste ist längst nicht vollständig.
Doch der bedrohlichste Trend kommt auf leisen Sohlen daher, hinter der Maske einer Win-Win-Situation. Ich profitiere, wenn Du profitierst und alle sind glücklich. Das gibt es und es ist schön, wenn es so läuft, doch oft läuft es anders. Man profitiert vordergründig oder kurzzeitig und zahlt langfristig drauf. Nicht nur monetär, sondern auch durch den Verlust der Privatsphäre.
Privatsphäre muss man schätzen lernen
Für ein paar Nerds ist Privatsphäre etwas, worüber sie nie nachdenken, weil sie es als Gewinn sehen, ihr ganzes Leben der digitalen Gemeinde zu präsentieren, wie auch immer man das psychologisch einordnen mag. Doch für die Mehrheit ist Privatsphäre vielleicht noch irgendwie eine durchaus nette Idee, aber wer davon redet, erntet etwas mitleidige Blicke, in der Art von: „Opa redet schon wieder vom Krieg.“
Die Suggestion ist klar: Man opfert ein wenig Privatheit und gewinnt dafür jede Menge Komfort. Man ist nie mehr allein. Allein zu sein, ist eine große Angst und daher ist das Versprechen eines, was zieht. Doch die Erfahrung ist, dass sich Langeweile[link] (ein anderes Missempfinden) auch inmitten von Aktivitäten ausbreiten kann. Dass man zwar nicht allein, aber dennoch einsam ist. Das ist keine neue Erfahrung. Früher hießen die einsamen Kinder Schlüsselkinder, durchgehendes Fernsehprogramm gab es auch nicht, Langeweile war ein bekanntes Gefühl. Heute gibt es das Smartphone, nur das stille Versprechen, dass andauernder Kontakt weniger einsam macht, konnte nicht gehalten werden. Dieser Gewinn ist also schon mal keiner, was bleibt, ist die Macht der Gewohnheit.
Dafür wird die Welt immer mehr zur Bühne, auf der man sich bewähren muss. Lautete die (zur kurz gesprungene) Kritik bislang, man müsse sich für die Arbeitswelt optimieren, muss man das jetzt auch noch privat. Eine gefühlte Selbstverständlichkeit, die sich schleichend, aber immer mehr durchsetzt. In der älteren Generation durch die Angebote fragwürdiger Fernhsehformate, in denen nicht nur singende Superstars gesucht werden, sondern jeder Lebensbereich gevotet wird, von der Hochzeit über den Einkauf bis zum Dinner, wie das Abendessen heute heißt. Überall muss man ein bisschen besser und gewiefter sein. Ein alberner Spleen, konsumiert zur reinen Unterhaltung, der mit dem Leben nichts zu tun hat?
Vielleicht, doch die junge Generation YouTube sieht das anders. Chloe Combi hat sie untersucht und Schlecky Silberstein lässt uns wissen:
„Aber Combi beobachtete noch mehr: Teenager erstellen für sich Markting-Pläne, die der Arbeit professioneller PR-Agenturen in nichts nachstehen. Hierzu müssen wir wissen, dass vor allem 12- bis 16-Jährige den Traumberuf des Vloggers vor Augen haben. Wer diesen Traum leben will, muss ganz früh professionell auftreten. Es gibt verschiedene Artikel, deren Autoren sich mit der Frage beschäftigen, warum Alkohol und Drogen für heutige Teenager erstmals fast gar keine Rolle mehr spielen. Diese auf den ersten Blick positive Tendenz erklärt Combi mit der Angst, die eigene Marke zu beschädigen. In ihrer Befragung hörte Combi immer wieder von der Furcht vor der Bloßstellung. Die Kameras sind überall. Wer einmla betrunken oder unpässlich im Intenet landet, wird zum öffentlichen Gespött. Die Generation Z macht sich keine Illusionen über das Recht am eigenen Bild. Vielmehr gilt das Agreement, in jeder Situation forographiert, gefilmt und öffentlich gemacht werden zu können. In der Folge führen viele Teenager ihr Leben wie Stars: Alles dreht sich darin 24/7 präsentabel zu sein. Auch Textnachrichten werden so formuliert, dass der Empfänger sie jederzeit öffentlich machen kann. Dafür verzichtet die Generation Z auf den Eskapismus, den Vorgänger-Generationen noch im Alkohol und in Drogen gesucht haben.“[3]
Man könnte sagen, dass es doch schön ist, wenn das eigene Kind keinen Unsinn macht und diszipliniert ist, ein Träumchen. Doch Silberstein fährt fort: „Das Ergebnis ist eine Normierung durch gegenseitige Beobachtung, die an den Calvinismus des 17. Jahrhunderts erinnert.“[4]
Kann man so sehen und sehe ich auch so. Glühende Atheisten werden die Erfindung des allsehenden Gotteauges als größten Schachzug zur Kontrolle ansehen, aber gleichzeitig appelliert Religion an ein Ideal, das in der Entwicklung der Menschheit ungeheuer wichtig war und heute stark unterschätzt wird, die Entwicklung der Moral. Die Angst vor der Strafe im Jenseits mag ein Grund gewesen sein, warum Menschen folgsam waren, doch Ideale anzustreben ist etwas anderes, als Strafe zu vermeiden. Die Omnipräsenz der Bildüberwachung ist etwas, von dem die Stasi nur hätte träumen können, nur läuft das heute freiwillig. Vor allem gilt die soziale Kontrolle heute dem Marketing, der Show, der Inszenierung. Wie man ist, ist egal wichtig ist, wie man wirkt.
Ein privater Raum ist längst kassiert, über einem schwebt die beständige Drohung in die Pfanne gehauen zu werden, der Statusverlust. Der Lohn ist nicht das Paradies, sondern gute Verkaufszahlen. Menschliche Beziehungen auf dem Niveau der Kosten-Nutzen-Rechnung sind aber moralisch tief angesiedelt und ohnehin schon der kühle gesellschaftliche Wind, unter dem wir alle leiden. Die zynische Frage, ob es sich lohnt in den oder die zu investieren. Neues Herz, neues Knie? Auf die breite Palette des Gefühlslebens wird auch verzichtet, dem sozialen Status und den Verkaufszahlen zuliebe. Das ist allenfalls die Sparversion des sozialen Miteinanders, ein Leben auf der Abschussliste. Ein Fehler und du bist raus.
Die Daumenschrauben des Perfektionismus werden enger gedreht. Allumfassende Kontrolle in Job und Freizeit, überall geht es um maximale Performance im neuen Digitalistan. Entspannung in einem Raum der Ruhe, einem Bereich ohne Kameras und Zeugen? Immer geringer. Nicht umsonst werden wichtige Notizen heute wieder mit der Hand auf Zettel geschrieben und Gespräche im Wald geführt.
Wie kann es weiter gehen?
Ist diese Summe an unguten Trends noch aufzuhalten und umzudrehen? Es wird schwer. Mehr Medienkompetenz wird gefordert, reicht aber eindeutig nicht gegen die Datensammelwut. Treuherzige Versprechen reichen auch nicht, denn sie werden nicht eingehalten. Es wird gemacht, was geht, nicht nur in der Hölle des Internet. Ein Sinneswandel ohne erheblichen Druck ist ausgeschlossen, zu groß der Profit und wenn ein gutes Geschäft zu machen immer mehr zu dem wird, was zählt, sind die einsamen Rufer in der Wüste chancenlos.
Unsere Abhängigkeit vom Internet wird immer größer. Aber da wir vom Strom auch abhängig sind, weiß ich nicht, inwieweit das ein Argument sein kann. Die Gefahr, dass Daten in die falschen Hände kommen ist hoch, wie man sieht, ist niemand davor sicher. Maximalen Schutz im Internet gibt es nicht, man kommt immer an Daten, an die man nicht kommen sollte, die Folgen sind einfach eine hohe Kriminalität durch Erpressung. Es ist einem vielleicht egal, wenn das irgendwer weiß, aber wenn irgendwer der Chef, Nachbar oder Partner ist, sieht die Sache oft schon anders aus.
Auch die Aussage des ehemaligen Google Chefs Eris Schmidt: „If you have something that you don’t want anyone to know, maybe you shouldn’t be doing it in the first place.“ („Wenn Sie möchten, dass jemand etwas [über Sie] nicht erfährt, dann sollten Sie es besser überhaupt nicht [online] tun.“)[5], hat den beruhigenden Charme einer Kriegserklärung. Was immer Sie tun, wir werden es vielleicht gegen Sie verwenden, ist die simple und klare Botschaft. Und wenn nicht wir, dann sonst wer.
Das Internet ist eine tolles Medium, an das wir uns alle gewöhnt haben und das noch viel Potential hat, aber eben in beide Richtungen. Wo Facebook nicht ist, ist Google und umgekehrt, die Praktiken sind alle ähnlich. Ein Lösung kommt eher nicht aus der Erklärung guter Absichten, die wird es zwar werbewirksam geben, aber es steht zu befürchten, dass zunächst weiter gemacht wird, wie zuvor. Die Kritik die Facebook erntet könnte ein Auftakt sein oder in weniger Wochen völlig folgenlos verpufft sein, mit dem einzigen Effekt, dass die Datenkraken noch geschickter spähen und manipulieren. Algorithmen werden uns nie komplett ausspähen können, aber der Gedanke, dass es ständig versucht wird und die heute schon bestehenden Gefahren sind einfach eklig und müssen nicht sein. Lösungen werden, wenn überhaupt aus dem technischen Bereich kommen oder in Trends zu scharenweisen Abwanderung und der Installation dezentraler Angebote, jenseits von Facebook und Google.
Denn die wachsende Abhängigkeit von Internet-Großkonzernen führt nicht nur zu Monopolstrukturen, schon heute ist es so, dass die Seite 1 bei Google bestimmt, wer gesehen wird. Ebenso wird ja schon damit experimentiert zahlenden Kunden ein schnelleres Internet zur Verfügung zu stellen. Denkbar wäre auch, dass man die digitale Existenz von jemandem beendet. Man erscheint dann nicht mehr in Suchmaschinen, der Datenfluss ist langsam oder man wird nicht mehr weitergeleitet. Was wäre eigentlich unser Mittel, sie im Ernstfall daran zu hindern?