Ein neues Bewusstsein?

Octopus

Faszinierend, auch wenn sie sich nicht von Daten ernähren. © Eden, Janine and Jim under cc

Irgendwas ist anders geworden, stellten wir fest und die Zeit wird zeigen, ob das mehr als ein laues Lüftchen ist. Eigentlich könnte man sich bei Facebook entspannt im Sessel zurücklehnen und ein paar Wochen warten. Doch offensichtlich scheint man sogar dort nervös geworden zu sein. Einerseits weiß man selbst sehr gut, wie man Trends und Stimmungen erzeugt und beeinflusst, andererseits kann man es schlecht kontrollieren, wenn sich so ein Trend gegen Facebook selbst richtet und solche Bewegungen können immer ungeahnte Dynamiken annehmen. Das hat niemand gerne, der gerne Kontrolle hat und ausübt.

Viele sind emotional an Facebook gekettet. TINA, heißt das Prinzip: There is no alternative. Wer bei Facebook ist, ist überwiegend wegen seiner Freunde da. Man ist dort oft mit der ganzen Familie und bekommt manches einfach nicht mit, ist wie von der sozialen Welt abgeschlossen, wenn man kein Social Media Teilnehmer ist, dem man schnell mal eben ein paar Kurznachrichten in Text oder Sprache, Artikel oder Fotos schicken kann. Und alle gleichzeitig wechseln eben nicht, weil einige der Freunde in weiteren Freundeskreisen sind und so weiter. Dazu kommt, dass Facebook nicht mehr das smarte Start-Up Unternehmen ist, sondern ein milliardenschwerer Wirtschaftskonzern, der mit Daten und Informationen handelt und dessen Rohmassen die Daten seiner Nutzer sind. Und wenn sich wirklich ein Konkurrent am Horizont blicken lässt, wie WhatsApp, wird dieser kurzerhand aufgekauft und schon hat Facebook wieder ein paar Datensätze mehr.

Die Krise scheint groß zu sein, denn bei Facebook ist man offenbar nervös, was man daran sieht, dass überhaupt geredet wird. Nichts nach außen dringen zu lassen und nach Möglichkeit wenig Steuern zu bezahlen, ist das Modell der großen Datenkraken wie Facebook und Amazon, denen man es allerdings in Europa auch leicht gemacht hat. Doch interessanter als das was gesagt wird, ist ohnehin oft das, was nicht gesagt wird. Zuckerberg gibt sich reuig und schaltet ganzseitige Anzeigen, dass sich aber an der Praxis des exzessiven Datensammelns zukünftig irgendwas ändern wird, ist mit keiner Silbe erwähnt worden und auch nicht zu erwarten, denn es ist das Geschäftsmodell von Facebook.

Statt dessen soll dafür gesorgt werden, dass andere die Daten, die Facebook sammelt, nicht abgreifen können, Facebook selbst sammelt fröhlich weiter. Die einen meinen, dass die User für Facebook einfach nur nützliche Idioten seien, doch selbst wenn man die milde Variante unterstellt, die der ehemalige Antonio García Martínez hier darstellt, sitzt man bei Facebook ironischerweise in einer Blase, weil man sagt, man habe den Kunden doch die Möglichkeit gegeben in den Einstellungen alles so zu wählen, wie sie es gerne hätten. Dass die meisten User aber keine Technikfreaks sind, die jede Möglichkeit spielerisch ausprobieren und auch keine kilometerlangen AGBs lesen, weiß man entweder nicht oder man will es nicht wissen und denkt achselzuckend: Dann eben nicht.

Den technischen Möglichkeitsoverkill, kennt jeder von seiner Fernbedienung. Man braucht in der Regel 5 Knöpfe: Programmwahl rauf und runter, Lautstärke rauf und runter, An/Aus. Der Rest wird kaum je benutzt und es ist ja schön, wenn der Toaster einem theoretisch auch noch bei der Steuererklärung helfen kann, doch bis man sich da eingearbeitet hat, ist das Jahr um. Das ist nur leicht ironisch dargestellt und längst hat man auf der Herstellerseite darauf reagiert und so ist Usability das neue Schlagwort. Die Produkte müssen nicht alles können, sondern einfach und intuitiv zu bedienen sein, möglichst ohne, dass man lange Gebrauchsanweisungen studieren muss. Sollte man das ausgerechnet bei den allwissenden Datenkraken nicht wissen? Eher unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass der Fehler System hat. Es ist technisch keinesfalls unmöglich, in klaren und einfachen Sätzen und für alle gut sichtbar, vor jeder Anmeldung zu sagen, was mit den Daten passiert, was das bedeutet und dann das Modell wählen zu lassen, was man wirklich für sich haben möchte.

Alles besser in Europa?

Es wäre falsch zu suggerieren, dass in Europa alles besser ist. „Cracked Labs“, das „Institut für kritische digitale Kultur“ hat unter dem Titel Durchleuchtet, analysiert und einsortiert untersucht, was mit unseren Daten passiert und zukünftig passieren könnte. Der schmutzige Trick daran ist, dass all die Unternehmen, wenn es um ihren Vorteil geht, natürlich nicht mehr leichtgläubig sind und nicht um die Stärken und Schwächen ihrer User wissen, sondern sie wissen sehr genau Bescheid und nutzen dies aus. Natürlich so, dass man selbst scheinbar nur Vorteile davon hat. Fitness Apps können Vorteile bringen. Man kontrolliert seine Fitness und wer keinen Risikosport macht, lebt gesünder und länger und profitiert dafür eventuell von besseren Tarifen bei seiner Krankenkasse. Doch wer sich auf dieses Spiel einlässt, kann es nicht einfach kündigen, wenn ein paar Jahre vergehen, man vielleicht älter, träger, schwerer und kränker wird. Kinder, ein dummer Zufall, Krankheit, die Arbeit oder einfach zehn Lebensjahre und die Welt des fitten Sportlers von Anfang 30 sieht ganz anders aus. Blöd, wer dann individualisierte Tarife hat, dann wird‘s richtig teuer: 10 Jahre gespart, 40 Jahre draufgezahlt, die Rechnung ist einfach und eindeutig.

Mit dem Internet der Dinge kann dieser Trend noch zunehmen und gleiches gilt etwa für das Fahrverhalten: Es klingt gut, wenn brave Fahrer durch bessere Tarife profitieren, doch wenn jedes Auto die Daten es Fahrers sammelt, kann dies schnell ein teuerer Spaß werden, in der oben verlinkten Studie ist das und sind viele weitere Beispiele aufgeführt. Aber auch wie es um Ihre Finanzen, ihre sexuelle Präferenz oder Drogenkonsum steht, könnte interessant sein. Für Versicherungen, Arbeitgeber oder Erpresser. Und auch in Europa und Deutschland gibt es Datenhändler, die unsere Daten zig mal verkaufen, uns überwachen und auswerten, wo immer es geht. Es geht fast immer.

Unterwelt und Unbewusstes

In „Das Internet muss weg: Eine Abrechnung“ beschreibt Schlecky Silberstein auch einschlägige Foren, die er die Hölle des Internet nennt. Sarkasmus, Pornos und Gewaltverherrlichung sind dort an der Tagesordnung und genau so treffsicher wie einige diese Bereiche finden werden und sich von ihnen magisch angezogen fühlen, wird die Mehrheit sich abgestoßen fühlen von einer digitalen Unterwelt, in der gemacht wird, was geht, weil es geht. Der Mainstream ist ganz anders, könnte man meinen.

Allerdings ist das Unbewusste in uns doch nicht so anders, man nimmt es nur nicht so wahr, es läuft subtiler ab. Das Netz füttert uns mit Erregung und wir beißen an, sind längst süchtig danach geworden. Aber bitte nicht zu lange, denn das wird langweilig, man kennt das. Der Erregungslevel muss hoch gehalten werden, bis zum nächsten Event.

So kann Zuckerberg abwarten, sich reuig zeigen und lernen, wie man Krisen übersteht und austesten, bis an welche weiteren Grenzen man gehen kann. Man weiß nicht, was mit Facebook wird, aber darum geht es auch nicht. Es geht um die nächste Umdrehung der Spirale. Kann sein, dass es eine Zeit lang chic wird sich bei Facebook abzumelden und Kunden die weg sind und was anderes gefunden haben, kommen auch nicht mehr wieder. Das wäre der GAU für den Konzern. Vielleicht reicht es aber tatsächlich, die üblichen paar Wochen zu überstehen, bis das Thema langweilt und vergessen wird. Dann kann man irgendwann demnächst ein Häkchen setzen und sich vormachen, dass nun alles anders ist.

Dann sind alle zufrieden und es hat sich nichts geändert. Das „Wir haben verstanden“ ist längst zum billigsten aller Marketinggags verkommen, um dann mit noch mehr Volldampf weiterzumachen, wie bisher. Sie meinen, dass diese Sicht zu negativ sei? Klima, Börse, Stickoxide, Armut und Antibiotika sind die Bereiche, in denen es ganz aktuell genau so läuft und diese Liste ist längst nicht vollständig.

Doch der bedrohlichste Trend kommt auf leisen Sohlen daher, hinter der Maske einer Win-Win-Situation. Ich profitiere, wenn Du profitierst und alle sind glücklich. Das gibt es und es ist schön, wenn es so läuft, doch oft läuft es anders. Man profitiert vordergründig oder kurzzeitig und zahlt langfristig drauf. Nicht nur monetär, sondern auch durch den Verlust der Privatsphäre.