Etwas befremdlich erscheinen mag, dass viele Menschen ihre eigene Beerdigung planen. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass wir uns in unserem westlichen Kulturkreis von dem Thema »Tod« entfernt haben, sodass wir uns nicht einmal mehr mit der eigenen Endlichkeit beschäftigen wollen. Traditionelle Kulturen haben fest vorgegebene Rituale, wie ein Begräbnis vonstattengeht. Grob abgesteckt findet sich ein solcher Rahmen auch bei uns. Dennoch bleiben, verglichen mit zum Beispiel Ureinwohnerstämmen, viele Freiheitsgrade, die es zu verplanen gilt. Warum also sollte der letzte Gang nicht so sein, wie der Mensch es sich wünscht? Eine Annäherung daran, wie er selbst gelebt hat? Zeit, das Sterben zu enttabuisieren, um die Angst vor dem Ungewissen zu vermindern. Es scheint dringlich, dem Tabuthema Tod mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Angst vor der Endlichkeit versus Verbundenheit
In unserer von Todesangst bestimmten Kultur des Jugend- und Gesundheitswahns wird das Sterben zu einem bedrohlichen schwarzen Loch, welches uns bestenfalls erst im Alter verschluckt. Kein Wunder also, dass wir individuumszentrierten Menschen in Anbetracht der Angst, vergessen zu werden, panisch sind. In den Dreißigern bekommen wir schnell noch ein Kind, arbeiten hektisch an unseren Werken, damit nur ja etwas von uns zurückbleibt, wenn wir für immer gehen.
Dabei ist die Angst vorm Sterben auch stets verbunden mit der Angst vorm Leben. Wer zufrieden und ohne Reue, gelassen und in Einklang mit sich selbst, sein Dasein erfährt, der wird auch weit weniger Angst vor der eigenen Endlichkeit verspüren.
In vielen traditionellen kollektivistisch geprägten Kulturen, in welchen Zusammengehörigkeit mehr als der Einzelne zählt, hat die Angst vorm Alleinsein, vorm vergessen werden, keinen Platz. Weil man sich als Bestandteil einer Gemeinschaft sieht und das »Ich« keine solche Überbetonung erfährt. Für viele Sterbende in westlichen Gesellschaften ist es besonders tragisch, die Angehörigen zurückzulassen. Sich nicht mehr um sie kümmern zu können. In einer Kultur, die von Beisammensein geprägt ist, hätte man stattdessen die Gewissheit, dass die Familie gut aufgehoben ist.
Würden wir unseren Zeiger mehr auf Verbundenheit richten, uns als Teil einer Gemeinschaft – als Bestandteil eines weitaus größeren, naturgewaltigen Kreislaufs – sehen, wäre in Bezug auf die Enttabuisierung des Todes schon einiges getan. Dann blieben Sinnhaftigkeit und Naturverbundenheit bis in den Tod.
Beerdigung: Festlichkeit statt Trauer
Immer mehr Sterbende wünschen sich für ihre Beerdigung einen bewegenden, aber hoffnungsfrohen Abschied. Statt trauernder Angehöriger wollen sie ein friedvolles Lächeln auf den Gesichtern der Menschen, die ihnen die letzte Ehre erweisen. Natürlich gehören auch Tränen mit dazu. Weinen ist ein heilsamer Prozess, der für Verarbeitung, Vermissen und Mitgefühl steht. Dennoch kann auch auf einer Beerdigung die allüberdauernde Verbundenheit im Mittelpunkt sein.
Tatsächlich ist der Umgang mit dem Tod nichts weiter als eine kulturelle Prägung. Andere Religionen als die unsere sehen den Tod nicht als Ende, vielmehr als Übergang. Im Buddhismus und Hinduismus gilt die Wiedergeburt als fester Bestandteil eines Kreislaufs. Das Christentum dagegen hat uns mit der Vorstellung vom letzten Gericht und der Konsequenz von Himmelsleichtigkeit beziehungsweise Höllenqualen bis in alle Ewigkeit einen gehörigen Schrecken eingejagt. Der Rationalismus unserer neuzeitlich wissenschaftsorientierten Gesellschaft hilft uns ebensowenig dabei, die Angst vor dem Sterben zu mindern. Denn nach dieser Auffassung wartet das Nichts.
Es ist also auch immer Ansichtssache, wie bedrohlich das eigene Sterben sein kann. Und Ansichten lassen sich ändern.
Neue (altbekannte) Ansichten über den Tod
Mittlerweile sind Nahtoderfahrungen, die lange Zeit von pragmatisch denkenden Menschen als Produkte eines sterbenden Gehirns betrachtet wurden, in den Fokus der Wissenschaft gerückt. Technische Errungenschaften, wie eine sorgsame klinische Überwachung der Patienten, machen eine Annäherung zwischen aufgeklärter Moderne und dem althergebrachten Glauben an einer Existenz nach dem Tod möglich.
Die AWARE-Studie: Aufbrechen des Tabuthemas Tod
So fand die Forschergruppe um den britischen Kardiologen Sam Parnia, dass 46 % der in der Studie untersuchten Überlebenden eines Herzstillstands rückblickend Erinnerungen hatten:
»… 6% had memories with 7 major cognitive themes: fear; animals/plants; bright light; violence/persecution; deja-vu; family; recalling events post-CA and 9% had NDEs …«
Immerhin zwei Prozent der Wiederbelebten beschrieben im Nachhinein Bewusstseinsprozesse des »Sehens« oder/und »Hörens«, die in Zusammenhang mit der Reanimation standen. Bei einem Patienten konnte Bewusstsein während des Todes sogar klinisch verifiziert werden, weil dieser rückblickend Prozesse und Geräusche einer Maschine beschrieb, die definitiv in der Zeit passierten, als er als klinisch tot galt, so Parnia in einem Interview:
»The man described everything that had happened in the room, but importantly, he heard two bleeps from a machine that makes a noise at three minute intervals. So we could time how long the experienced lasted for. … He seemed very credible and everything that he said had happened to him had actually happened.«
Unsterbliche Seele? Was müssen wir überdenken?
Lange Zeit belächelt, steckt die Forschung zum Tabuthema Tod und einem möglichen Danach noch in den Kinderschuhen. Neuere Ansätze in Medizin, Psychologie, Physik und Philosophie sehen vor, sich dem Tod weniger endgültig zu nähern.
Kritiker mögen sagen, dass womöglich die Diagnostik zur Feststellung des Todeszeitpunkts überarbeitet werden muss, dass unsere klinischen Messgeräte und unser Verständnis vom Sterben nicht ausreichend sind, um das Eintreten des Todes eindeutig festzustellen, und deshalb noch Bewusstsein vorhanden ist. Alternative Erklärungen, die auf neurologische und biochemische Prozesse in Zusammenhang mit dem Sterben basieren, werden angeführt. Und sie sind wichtig, genauso wie die andere Seite der Befürworter einer Existenz nach dem Tod. Individuellen Erfahrungsberichten sowie dem Anfühlen des Erlebten als real bei Nahtoderfahrenen wurde lange Zeit keine Beachtung geschenkt. Jedoch, um sich mit dem Tabuthema Tod angemessen wissenschaftlich zu befassen, muss man eine mögliche Existenz nach dem Tod zumindest als Hypothese zulassen.
Professor Dr. Hans-Peter Dürr, ehemaliger Leiter des Max-Planck-Instituts für Physik in München, wird in dem Buch »Die geheime Physik des Zufalls: Quantenphänomene und Schicksal – Kann die Quantenphysik paranormale Phänomene erklären?« des Wissenschaftsjournalisten Rolf Froböse wie folgt zitiert: »Seiner Auffassung nach existiert auch ein universeller Quantencode, in dem die gesamte lebende und tote Materie eingebunden ist.« Ferner: »Was wir Diesseits nennen, ist im Grunde die Schlacke, die Materie, also das, was greifbar ist. Das Jenseits ist alles Übrige, die umfassende Wirklichkeit, das viel Größere. Das, worin das Diesseits eingebettet ist.«
Letztendlich scheint der Tod besser als sein Ruf zu sein. Das Tabuthema Tod sollte nicht länger in den letzten Lebensabschnitt verbannt werden oder Sterbenden vorbehalten sein. Er ist Teil unseres Lebens, unseres Daseins, und wir täten gut daran, ihn als solchen zu akzeptieren. Die Wertschätzung des letzten Festes auf Erden kann ein gebührender Abschluss für ein erfülltes Leben sein.