Was das Essen mit der Psyche macht

Chillis

Some like it hot. © 夏爱克 under cc

Auf welchen Geschmack könnten Sie am wenigsten verzichten? Süß, herzhaft, sauer, sahnig oder scharf? Wenn ich mich entscheiden müsste, wäre es bei mir vermutlich am ehesten scharf, durchaus mit einem leichten Hang ins Perverse, aber das Essen muss keine Mutprobe sein. Der Kreislaufzusammenbruch über der schärfsten Currywurst gibt mir dann doch keinen Kick. Scharf soll ja eigentlich kein Geschmack sein, sondern einfach so eine Art Schmerz. So liest man es, was aber auch nicht so ganz stimmen kann, da man nicht nur verschiedene Schärfegrade sondern auch -arten unterscheiden kann. Die Schärfe des Chilli ist ganz anders, als die von Meerrettich, Wasabi oder Senf. Chilli brennt im Mund und lässt den Schweiß ausbrechen, die Öle von Senf und Rettich haben bei aller Schärfe noch immer etwas Kühlendes, ziehen einem das Kleinhirn zusammen und machen, dass die Augen tränen. Für einen kurzen Moment liebt und hasst man die Welt gleichzeitig. Das ist vielleicht auch der Kick daran, diese selbst zugefügte Ohnmacht.

Auf einige Menschen soll scharfes Essen antidepressiv wirken. Von Borderlinern hört man, dass sie sich mit einem Schärfereiz wieder „erden“ können. Für viele von uns hat das Essen auch eine biochemische Funktion und so wird bei bestimmten Ernährungsempfehlungen einfach gesagt, man solle Essen, worauf man Appetit hat, es würde dann schon stimmen, gesteigert wird das von der Instinctotherapie. Muss man, im doppelten Sinne des Wortes, mögen.

Aber nicht nur die Bestandteile des Essens sind ja mitunter psychoaktiv, sondern auch die Einstellung dahinter. Sich mit der Chipstüte und der Bierflasche vor den Fernseher auf die Couch zurückzuziehen und dort richtig abschalten zu können, bekommt ernährungsphysiologisch vielleicht nicht die volle Punktzahl, ebenso wie wenn man das mit Schokolade und Kaffee macht, allerdings kann die dahinterliegende Konditionierung, oder, weil es schöner klingt: das Ritual in der Summe besser sein, als das, was am Zucker in der Schokolade oder Fett in den Chips nicht so toll ist. Wenn man zur selbstgewählten Belohnung greift, weiß der Körper schon, dass es gleich schön wird und spielt mit. Eine Insel des Wohlgefühls, im Alltag. Blöd wird es nur, wenn man das 20 mal am Tag braucht, um sich durch den Tag zu hangeln, weil man es ohne Belohnung nicht mehr aushält.

Und jenseits aller Biochemie und drögen Begriffe ist es die eigene Geschichte, die man mit etwas verbindet, wenn es genau dieses Essen in jenem Ambiente sein muss, mit dem wir uns belohnen können. Super, wenn man weiß, wie das geht. Man könnte das durchaus auch Placeboeffekt nennen, hätte der nicht zuweilen so einen schlechten Ruf, zu Unrecht. Denn eigentlich ist es ein Effekt, der auftritt, wenn wir davon überzeugt sind, dass uns etwas gut tut und unser Körper bereits darauf trainiert ist. Da der Placeboeffekt zuweilen in der Lage ist, die biochemischen Wirkungen von Medikamenten zu übertreffen, dürfen wir für die Ernährung ähnliches annehmen.

Ansonsten ist kaum etwas so sicher, wie der Wandel der Anschauungen darüber, was und wie man Essen sollte. Beispiel Serotonin. Manchmal liest man, man solle serotoninhaltige Nahrung zu sich nehmen, weil das die Laune verbessert. Erstens ist der Zusammenhang zwischen einer guten Stimmung und Serotonin weniger klar, als man denkt, einige halten ihn sogar schlicht für falsch. Zum anderen kann Serotonin aus dem Essen gar nicht ins Hirn gelangen, da die Blut-Hirn-Schranke dies verhindert, weshalb geraten wird, Nahrung mit viel Tryptophan, eine Vorstufe des Serotonin zu sich zu nehmen. Allerdings ist neuerdings in der Diskussion, ob Depressionen überhaupt nur eine Erkrankung allein des Hirnstoffwechsels sind und ob nicht anderen Organe, allen voran der Darm, hier ebenfalls eine bedeutende Rolle zukommt. Hier hätte Serotonin auf Umwegen dann doch wieder eine positive Funktion auf die Psyche, falls sich der Zusammenhang zwischen Darm und Stimmung bestätigt.

Früher hieß es, man solle frühstücken wie ein Kaiser, mittags essen, wie ein König und abends, wie ein Bettler. Dann hieß es, das sei individuell ganz verschieden, andere essen eben am Abend. Später dann, war es wichtig überhaupt keine großen Mengen zu sich zu nehmen, sondern die Nahrung über möglichst viele kleine Mahlzeiten, über den Tag verteilt zu sich zu nehmen. Bis neulich. Jetzt ist es richtig, möglichst große Pausen zwischen dem letzten Essen zu lassen. Und so wird es vermutlich immer weiter gehen.

Die Menge des Essens ist allerdings schon entscheidend und eine der wenigen Konstanten in den Untersuchungen. Die bittere Wahrheit lautet: Weniger ist mehr. Wer karg isst, lebt länger, sogar erheblich. Auf die Qualität der Nahrung kommt es dabei vermutlich aber auch an. Heute schaffte man das Kunststück überernährt und gleichzeitig mangelernährt zu sein. Sogar die Vitamin C Mangelerkrankung Skorbut kehrt vereinzelt zurück.

Ob man das lebenslänglich will, wenig zu essen, ist eine Frage, die jeder für sich entscheiden muss. Wer wenig isst, weil er depressiv ist, hat diese Vorteile eher nicht, denn Depression verkürzt das Leben, statistisch, und es ist die Frage, ob die Aussicht auch 20 Jahre mehr für schwer depressive Menschen, die den Tag kaum hinter sich bringen eher eine freudige Nachricht oder eine Strafe ist. Depressionen gehen oft mit Appetitmangel einher. Aber eben auch nicht immer. Bei bestimmten, saisonalen Formen der Depression tritt ein Heißhunger vor allem auf kohlenhydratreiches Essen, wie Nudeln, Brot oder Süßigkeiten auf. Womit wir erneute bei den Pathologien sind.

Essstörungen

Neben der Orthorexia nervosa, von der niemand weiß, wie ernst dieses Konstrukt zu nehmen ist, gibt es eine Reihe von echten und grauenhaften Essstörungen, die sehr ernst zu nehmen sind. Zu vielfältig und zu gravierend um sie kurz abzuhandeln. Gefährlicher als man oft denkt, ist schon die Fettsucht, die wir hier schon besprochen haben. Ein sehr ernstes Problem sind vor die Bulimie und die Magersucht, die tödlich enden können, mit Essen im eigentlichen Sinne aber nichts zu tun hat, da es hier oft um die Vermeidung des Essens geht und die Lust an der Kontrolle immer größer wird. Wird in unserem Psychologie Magazin sicher irgendwann noch ein eigenes Thema werden, als LeserInnen können Sie das per Feedback steuern, da wir Anregungen gerne aufnehmen.

Eine Strategie bei vielen Süchten ist, dass man dasjenige, was die Sucht auslöst, meidet, einsichtigerweise geht das beim Essen nicht. Das ist schade, da es oft so ist, dass man den Betroffenen zwar helfen kann, Essen aber oft nie mehr eine unbeschwerte Rolle im Leben spielt.

Was folgt nun daraus?

Nun ist der Sinn dieses Beitrag von der Psychologie des Essens auf eine kurze Formel gebracht der, vorsichtig zu sein, gegenüber all zu schnellen und lauten Heilsversprechen, auch, wenn sie vermeintlich wissenschaftlich begründet sind. Auch wenn vieles kontrovers ist, so bedeutet das nicht, dass man nichts weiß und eigentlich alles egal ist. Nein, Ernährung ist ein wichtiger Baustein für ein gesundes Leben und vermutlich auch ein Schlüssel zu einem langen Leben, wenn man es denn will.

Essen und Trinken sind auch Schlüssel zum Glück. Gerade nicht durch die angestrengte Suche nach dem perfekten Essen, sondern durch eine kluge Kombination von Gesundem und Genuss. Das bedeutet für mich, nicht angestrengt über jeder Kalorie oder jedem Vitamin zu brüten, sondern sich einmal grundsätzlich und ehrlich Gedanken darüber zu machen, wie groß man den Effekt der Ernährung auf die eigene Gesundheit einschätzt, wie wichtig einem das Thema insgesamt ist und wie viele Abstriche man beim Genuss zu machen bereit ist. Wobei Abstriche zu machen, eine Vorstellung ist, die oft ohnehin falsch ist. Verzicht heißt die Sorge, die über allem schwebt.

Der Selbsttest ist einfach. Man muss sich nur überlegen, was man eigentlich isst und was nicht. Viele, die sich nichts wegnehmen lassen wollen, essen eigentlich sehr eingeschränkt und da bedeutet eine Ernährungsumstellung oft eine immense Erweiterung des Speiseplans. Ob es dann schmeckt ist eine Frage, wie gut man kochen kann, man kann alles versauen und aus allem eine Kunst machen.

Ich habe in all den Jahren viel über Ernährung gelesen und wenn ich einen Namen nennen sollte, dessen Lehre sich im Rückblick immer und immer wieder bewährt hat, so wäre das Max Otto Bruker. Er hat eine klare Linie und ist, wenn man ihn liest, weniger dogmatisch, als es scheint. Abwechslungsreich soll die Nahrung sein, schmecken darf und soll es, wobei man ein paar Grundregeln beachten soll: Hier die Basics seiner Lehre. Wie nahe oder weit man von diesen Vorschlägen entfernt bleibt, muss selbstverständlich jeder selbst entscheiden, aber wer sich für das Thema interessiert, kann von Brukers Anregungen profitieren, sollte ihn aber gerne auch kritisch lesen und mit den jeweils neuesten Erkenntnissen abgleichen. Für die Ernährung von Kleinkindern ist Brukers Lehre umstritten, besonders hier also bitte auch die Gegenmeinungen einholen. Da ich aber, wie mehrfach erwähnt, überhaupt keine Ernährungslehre kenne, die nicht nach einigen Jahren in Teilen oder vollständig revidiert wurde, sehe ich in der Gesamtschau die Kontroversen um Brukers vitalstoffreiche Vollwertkost als eher gering an.

Essen und Trinken kann ein ungeheuer lustvolles Erleben sein, man kann beim Essen aber auch beim Kochen kreativ und neugierig sein und wenn man seinen Speiseplan erweitert und überzeugt ist, dass das, was man isst auch noch gesund ist, bekommt man mindestens mal einen gesundheitlichen Schub durch den Placeboeffekt geschenkt. Kann man das was man isst, obendrein auch noch genießen, hat man eine zusätzliche Belohnung und da man in der Regel mehrfach täglich isst, kann man sich diesen Luxus öfter gönnen.

Natürlich spielen Umfeld und Lebenssituation immer auch eine Rolle, aber wenn man nach Bereichen im Leben sucht, die man beeinflussen kann, hier wäre dann mal einer. Das letzte Wort beim Thema Psychologie des Essens, soll dann auch ein Biograph des Malers Carl Spitzweg haben:

„Bei allem Wissensdurst, allem Ringen um künstlerische Perfektion und mancher Mühsal des Reisens blieb Spitzweg unterwegs ein Genießer. In Briefen und Tagebuchnotizen finden immer wieder gute Wirtshäuser Erwähnung, ein trefflicher, gebratener Fisch hier, eine stattliche Haxe dort. Und die Pausen, die sich oft durch verspätete Anschlüsse ergaben, wusste er durchaus zu schätzen, schließlich gaben sie Gelegenheit zu einer Maß mit dem Postillion oder einem Glas Frankenwein in Gesellschaft der Malergefährten… Denn auch dies war elementarer Teil seiner Lebens-Kunst: glückliche Winkel zu finden, wo immer sie sich boten.“[2]

Quellen