Was soll das Ziel sein?

van Gogh Kartoffelesser Gemälde

Für manche ist das Essen einfach eine Frage des satt werdens, aus Not. gemeinfrei, Wikimedia under cc

Gemeint ist, das Ziel, was man sich von der richtigen Ernährung verspricht. Oft steht der Wunsch nach Gesundheit und einem langen Leben dahinter, im besten Fall weiß man, dass man sterblich ist. „Wie?“, werde Sie vielleicht denken und dass das doch jeder weiß. Schon, aber es ist wie mit dem Wissen um die Gefahren des Autofahrens. Die Knie schlottern eher, wenn man fliegt, dabei ist das sicherer. Vom Auto wissen wir um die Gefahr, aber das schockt uns nicht groß. Die Geister haben wir in der Regel im Griff.

Die Angst vor dem Tod, vor dem Sterben und vor der Frage, wie wir alt werden, nicht so. Alt wollen wir werden, es aber nicht sein, das heißt wir möchten nach Möglichkeit fit und agil bis ins Alter sein, mindestens wollen wir anderen nicht zur Last fallen. Aber zwischendurch überfällt uns immer wieder die Angst vor plötzlichen Erkrankungen, denn es ist ja wahr, ganz ausschließen kann man sie nie, die Pillen gegen Krebs und Alzheimer sind noch nicht gefunden und da erscheint die kluge Prophylaxe vielen als ein probates Mittel.

Mit dem Blick auf die Psychologie des Essens geht es zu einem nicht unerheblichen Teil darum, die Geister des Todes und des Siechtums zu bannen. Das funktioniert auch ganz gut und wenn es funktioniert, ist das wunderbar. Wer mit Ritualen des gesunden Lebens seine Ängste kompensieren kann, der sollte da tun und je überzeugter man von der Richtigkeit dessen ist, was man tut, umso besser – jedenfalls in der Mehrzahl der Fälle.

Fokussiert man sich zu sehr auf das Essen, kann der durchaus positive Effekt sich ins Gegenteil verkehren. Anstatt die Geister und Ängste zu bannen, wird die Beschäftigung mit gesunder Ernährung manchmal zur überwertigen Idee und der Wunsch nach immer noch mehr Perfektion zum Bumerang, der einem irgendwann um die Ohren fliegt. Man ist in steter Sorge, ob nicht doch minimale Spuren gentechnisch veränderter Lebensmittel oder nicht vollwertiger Produkte, irgendwelcher Insektizide oder sonstigen ‚Gifte‘ im Essen sind und kann nicht in den Urlaub fahren, wenn man dort nicht sicher biologisch einwandfreie Nahrung bekommt, weil eine Woche ‚normale‘ Kost schon irreparable Schäden verursachen könnten.

Man ist drauf und dran mit der Orthorexia nervorsa daraus ein eigenes Krankheitsbild zu machen, hat es aber bislang nicht getan. Vielleicht ganz klug, denn gesundes Essen, oder das, was man dafür hält, zu sich nehmen zu wollen ist sicher nicht krank und natürlich beginnt irgendwann auch der Wunsch nach zu viel Gesundheit zu schaden[link], man kann auch durch an sich gesunden Ausdauersport, Wasser trinken und auch jede sonstige Übertreibung sich letztlich ruinieren, die Frage ist, ob nicht herkömmliche Diagnosen dazu ausreichen, dies zu beschreiben.

Essen ist ein Faktor, neben anderen

Wie wichtig das Essen im Großen und Ganzen der Gesundheit ist, kann keiner sagen, aber häufig wird das Essen als sehr wichtig angesehen. Hat man genügend Ernährungsbücher verinnerlicht, wundert man sich irgendwann, wie es Menschen geben kann, die mit einer absoluten Konsequenz alles in den Wind schießen, was mit gesundem Leben zu tun hat und trotzdem erstaunlich alt werden. Ein entscheidender Faktor ist der Einfluss der Gene, doch auch hier muss man mindestens zwei Dinge anmerken.

Erstens, gibt es eine Gruppe von Superalten, für die alle Tipps der gesunden Lebens nicht zu gelten scheinen, was man schon daran sieht, dass sie sich nie sonderlich dafür interessiert haben, es auch nicht intuitiv richtig gemacht haben und dennoch superalt geworden sind, oft bei bester Gesundheit. Zweitens, sind für alle anderen, die nicht dazugehören, die Vorschläge und Erkenntnisse für ein gesundes Leben durchaus wichtig und haben einen deutlichen Effekt. Essen ist ein Faktor, aber ebenfalls ist Bewegung wichtig, Rauchen und Depressionen sind schlecht. Nur sucht man sich Depressionen eben nicht aus. Dem Alkohol will man zwar den Kampf ansagen, weil die Deutschen, angeblich oder tatsächlich, zu viel trinken, aber es gibt auch da immer wieder zwei Effekte zu betrachten. Einerseits scheint es zu stimmen, dass es überhaupt keine ungefährlichen Mengen Alkohol gibt, das heißt, insbesondere die Gefahr an Krebs zu erkranken steigt bei dem Konsum von Alkohol an, besonders in den Bereichen des Körpers, die mit dem Alkohol direkten Kontakt haben. Andererseits gibt es Statistiken, die zeigen, dass Alkohol insgesamt und in geringen Mengen keinen schlechten, sondern einen positiven Effekt auf die Lebenserwartung hat. Vermutlich über die Entspannung. Zu viel Alkohol ist immer schlecht und da Alkohol ein Suchtmittel ist, das obendrein die Kritikfähigkeit herabsetzt, meint man oft, man sei noch im grünen Bereich, auch wenn er bereits von Orange in Rot übergeht

Ähnliche Paradoxien finden wir beim Kaffee. Es gibt überzeugende Argumente dafür, dass Kaffee (vor allem das Koffein) dem Herz nicht gut tut, doch die Auswertung aller verfügbaren Studien über Kaffee und Herzerkrankungen hat ergeben, dass die Menschen, die durchaus erhebliche Mengen Kaffee trinken, mit Koffein, die Herzgesündesten sind.

Also, gute Ernährung, regelmäßige Bewegung, Rauchen aufhören, Depressionen behandeln lassen, gute Beziehungen, Sinn und Ziele im Leben, das sind die Bausteine des Glücks und der Gesundheit. Das Essen ist insofern interessant, weil es ein gewichtiger Faktor ist und etwas daran ändern kann, in vielen Fällen. Und wenn man das Gefühl hat, hier vieles richtig zu machen, wird man obendrein noch von einem guten Gefühl belohnt. Ein Effekt der Psychologie des Essens, den man auf der Habenseite verbuchen kann.

Doch auch psychologische Effekte haben Grenzen, nur wissen wir nicht, wo sie verlaufen und vermutlich fallen sie bei jedem unterschiedlich stark aus. Gut ist es, die Effekte klug zu kombinieren, schlecht ist es, wenn der eine gute Effekt, von einem anderen schlechten wieder aufgehoben wird. Konkret: Wer Ängste und Perfektionismus auf das Thema Essen überträgt, tut sich und seiner Umgebung keinen Gefallen. Wer sich allerdings einen Ruck gibt und nach einer Fast Food Karriere seine Ernährung umstellt und sich bewegt, profitiert vermutlich auch noch, von einem psychischen Schub, den er bekommt.

Ernährungsmythen und ihre Jäger

Weil man alles überteiben kann, gibt es zahlreiche Ernährungsmythen, was nicht heißen soll, dass sie nicht stimmen, Mythos soll hier bedeuten, dass mit Inbrunst dran geglaubt wird. Da die Deutschen dick sind (hier eine Reihe von Statistiken zum Thema), ranken sich viele Mythen ums Abnehmen und immer wieder wird eigentlich alles geglaubt, was aktuell mit mehr oder weniger schlechten Argumenten erfunden wird. Klassische Diäten sind eigentlich immer sinnlos, anstrengend, frustrierend und im schlimmsten Fall noch ungesund, aber es wird sie immer weiter geben, weil man einfach dran glauben will, dass keine Kohlenhydrate nach 18:00 Uhr zu Essen oder oder diese oder jene Enzyme natürliche Fatburner sind. Und so reißt man sich mit aller Willenskraft für 8 – 12 Wochen zusammen, nimmt 5 Kilo ab und nachher dasselbe oder mehr wieder zu, wenn man den Verzicht endlich hinter sich hat. Was etwas bringt, sind Ernährungsumstellungen, aber dabei muss man sich eben klar machen, dass das kein Übung in Disziplin für die nächsten Wochen ist, sondern eine Lebensänderung.

Doch das ist eher der ernährungsmythische Kindergarten, die wahren Schlachten werden woanders geschlagen, im Reich der Ballaststoffe, Mineralstoffe, Vitamine und sekundären Pflanzenstoffe. Es gibt eigene Seiten im Internet, teilweise sehr professionell aufgezogen und mit reichen Informationen, auf denen man alles Mögliche zu bestimmten Nahrungsergänzungsmitteln, Extrakten und Mischungen aus dem Reich der Natur gibt, die teilweise, so hat man den Eindruck, gegen alle möglichen Krankheiten nicht nur mindestens so gut, sondern auch noch nebenwirkungsfreier als dieses oder jener Arzneimittel helfen sollen, zumindest aber die Heilung unterstützen.

Nahrungsergänzungsmittel werden vor allem aus zwei Gründen genommen. Einmal von den Menschen, die irgendwie am Thema Gesundheit interessiert sind und oft recht pragmatisch damit umgehen und sich etwas Gutes tun wollen. Am häufigsten sind das junge Erwachsene, die ihre Produkte, meist Vitamine und Mineralstoffe aus Supermärkten, Drogerien und Apotheken beziehen.[1] Weitaus komplexer sind diejenigen unterwegs, die sich tief in das Thema eingearbeitet haben und oft der Pharmaindustrie skeptisch gegenüber stehen. Hier sind Nahrungsergänzungsmittel oft Tabletten für Menschen, die keine Tabletten nehmen wollen und nicht selten sind diese Menschen sehr gut informiert.

Ein isolierter Faktor ist es nicht allein, das ist ihnen bekannt und so ist man auf vielen Ebenen zum Thema Gesundheit unterwegs, kombiniert alternative oder komplementäre Heilmethoden, mit gesundem Essen, Bewegung, Entspannung oder bemüht sich wenigstens darum. Vermutlich oft mit Gewinn, weil hier möglicherweise eine größere Angst vor Krankheiten vorliegt, die man dadurch bewältigen kann. Oder man hat einfach Spaß an dieser Art des Lebens, zu der dann oft noch ein weltanschaulicher Überbau gehört und kann sich das entweder leisten oder setzt hier seine Prioritäten und verzichtet dafür auf anderes. Die Flugreise in den Urlaub fällt dann aus, dafür investiert man in Solarzellen auch dem Dach und ein Elektroauto. Doch nicht jeder Mensch mit einer grünen Seele ist wohlhabend und so ist auch die Variante Fahrrad und Balkonzucht denkbar.

Oft führt die kritische Haltung der Gesundlebeszene dem Mainstream gegenüber zu Gegenreaktionen. Und so gibt es eine Reihe von Jägern der sogenannten Ernährungsmythen, die sich nun berufen fühlen Ordnung in den Laden zu bringen. Oft mit betont wissenschaftlichem Hintergrund, versuchen sie nun wieder gerade zu rücken, was ihrer Meinung nach schief war. Und so wird der Reihe nach entzaubert, was vorher verzaubert schien. Man kann, ein wenig, aber nicht völlig vereinfachend, ihre Botschaft etwa so zusammenfassen:

Der ganze alternativmedizinische Krempel ist ein ungeheuer aufgebauschter, großenteils wirkungsloser und manchmal gefährlicher Unsinn, der oft jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt. Die raffiniert zusammengestellten Bio-Nahrungsergänzungsmittel halten alle nicht, was die versprechen, auch der Nutzen der Vollwertkost ist oft eine ideologische Übertreibung und obendrein sind Lektine im Vollkorngetreide und E. Coli Bakterien in der Rohmilch sogar gefährlich.