Klamm, Wasser, Tannen, Wolken

Selbst feine Eindrücke graben sich durch Wiederholungen ein, wie Wasser in den Stein. © Bernd Thaller under cc

Ignoranz hat einen schlechten Ruf, der Ignorant auch. Der Ignorant ist jemand, der mit den sprichwörtlichen Scheuklappen und einer „Interessiert mich nicht“-Einstellung durch die Welt geht und einfach nicht wahrnimmt oder nicht auf das reagiert, was anderen wichtig ist.

Das gibt es auch in der Jugend und ist dort oft nur eine Phase, eine Masche, man probiert sich aus, muss seine Einstellung zur Welt und seine Rolle in ihr finden. Cool oder gechillt zu sein, wie es da häufig genannt und erprobt wird, ist etwas, das bei beiden Geschlechtern in einer gewissen Phase der Jugend attraktiv ist. Vermutlich, weil genau das Gegenteil im eigenen Leben der Fall ist, die Welt steht Kopf, alles ist neu und anders, drinnen tobt die Sexualität und draußen erzählt jemand etwas von binomischen Formeln. Irgendwer ist immer da, der mit all dem Getöse der inneren und äußeren Veränderungen besser zurecht kommt und diese Lebensphase souveräner und unbeirrbarer meistert und diese Menschen nimmt man sich oft zum Vorbild. Und nicht selten sind diese Menschen etwas eigen, gehen ihren Weg durchs Leben, sind oder wirken genau deshalb eben cool, souverän und sind ein wenig ignorant. Coolness hat zumindest einen gewissen Verwandtschaftsgrad zur Ignoranz.

Die Wegbeschreibung oder selektive Wahrnehmung

Im Zeitalter von Navi und Smartphone ist die Frage nach dem Weg vielleicht etwas aus der Mode gekommen, eigentlich schade, denn daran kann man, über den richtigen Weg hinaus auch sonst viel lernen. Etwas klischeehaft aber dennoch nicht ganz falsch könnte es sein, dass sie einen Weg anhand von Frisörläden, Boutiquen und Dedignerläden erklärt, er, auf der Basis von Trinkhallen, Baumärkten und dem Autohaus an der Kreuzung. Selektive Wahrnehmung nennt man das und diese meint meistens die Fähigkeit sich auf einen bestimmten Teilbereich des Lebens konzentrieren zu können und anderes auszublenden. Wie weit das geht, wurde vor einigen Jahren in dem berühmten Gorilla Aufmerksamkeitstest dargestellt, den heute irgendwie jeder kennt (falls nicht: hier klicken). Aber selbst, wenn man weiß, dass man sich im Kontext eines Aufmerksamkeitstests befindet, ist erstaunlich, was einem dennoch entgehen kann: hier klicken.

Das Gerücht will es, dass Männer Ignoranz besser können. Wenn sie von einem Geschäft erzählt, das er nicht kennt und sagt: „Das da hinten, in dem neuen Hochhaus“, kann es vorkommen, dass er fragend sagt: „Hochhaus?“. Im Laufe der Zeit verfestigt sich das zu Mustern, so dass man tatsächlich nur noch bestimmte Dinge wahrnimmt und auf die anderen buchstäblich mit der Nase gestoßen werden muss und auch dann nicht sicher ist, dass man wirklich erkennt, worum es geht. Das geht bei Hochhäusern noch vergleichsweise einfach, bei sozialen Sichtweisen und Perspektiven ist das deutlich schwieriger, was eine beliebte Quelle für Missverständnisse in Partnerschaften ist.

Aber auch in größeren sozialen Kontexten kennt man inzwischen das Phänomen der Blasen und Echokammern, in denen man, inzwischen beinahe, ob man will oder nicht, mit dem immer Gleichen konfrontiert wird, Schonkost für die Seele. Ob dieser Trend ungebrochen anhält, wird man sehen, zunächst scheint er bequem. Warum sich mit allerlei Unnützem abgeben, da das Leben schon bei der Bewältigung des Alltags hart genug ist?. Das Ausblenden von Unbekanntem und Nichtbekömmlichen und damit auch eine gewünschte oder jedenfalls bequeme Form der Ignoranz, hat derzeit jedenfalls Konjunktur. Einer der langen Schatten, den die Personalisierung unserer Daten wirft.

Der Bauarbeiter und der Traum vom unkomplizierten Leben

Wir kennen diesen Zusammenhang einer durchaus positiv besetzten Form der Ignoranz auch noch aus einem Klassiker, der immer mal wieder zu hören ist, wenn Menschen im Laufe des Lebens, oft auch in der frühen, idealistischen Phase merken, dass das Leben reichlich kompliziert ist und sich das in absehbarer Zeit auch nicht ändern wird. Dazu kommen noch die 1000 Gedanken und ernst gemeinten Träume von einer besseren Welt, die man hat, wenn man jung ist und manchmal auch behält, wenn man älter ist.

Ich hörte öfter eine Variante der Geschichte in Form des phantasierten Bauarbeiters, der klaglos arbeiten geht, am Feierabend sein Bier trinkt und der sonst nicht viel vom Leben erwartet und damit, so wird dabei vorausgesetzt, zufrieden ist. In der weiblichen Form könnte das die Geschichte der Hausfrau und Mutter sein, die mit ihrer Rolle ebenso ausgefüllt, wie zufrieden ist. Abgesehen davon, dass dies auch eher klischeehafte Bilder sind, in denen ein vermeintlich einfaches Leben einer komplexen Situation gegenüber gestellt wird (man will ja nicht wirklich Bauarbeiter oder Hausfrau werden, sondern wünscht sich, dies würde einem als Lebensmodell genügen), ist hier ein weiteres Mal ein eher positives Bild der Ignoranz erkennbar. Man hat seinen kleinen Radius des Lebens, der Rest geht einen nichts an und interessiert auch nicht.

Wenn wir mal ausblenden, dass diese Phantasie auch einiges unterschlägt: Das sind Ideen, die man in Situationen der Überforderung und Verunsicherung hat und manchmal ist diese Überforderungssituation hausgemacht.