Zwischenmenschliche Interaktionen gehören in unserem Leben dazu. Die meisten von ihnen gestalten sich äußerst angenehm, doch einige wenige sind mit Komplikationen verbunden. Uns allen vertraut, ist das Lügen. Jeder lügt. Aber ist Lüge gleich Lüge? Sind alle Lügen schlimm? Und woran erkennt man eine Lüge? Diese Artikelserie widmet sich der Unwahrheit.

Von der Notlüge bis zum Betrug: Ist Lügen schlimm?

Gemäß einer Studie der amerikanischen Psychologin Bella DePaulo lügt ein Mensch durchschnittlich zweimal pro Tag. Außen vor bleiben dabei Alltagsfloskeln wie zum Beispiel: »Wie geht es dir?« – »Mir geht es gut.« (Obwohl einem vielleicht zum Heulen zumute ist.) Jener feinsinnige Umgang miteinander ist ganz sicher zu entschuldigen. Solche kleineren Lügen sind vermutlich nicht schlimm.

Handfester Betrug, als anderes Ende des Kontinuums der Unwahrheiten, ist dagegen selbstredend kaum zu verzeihen und der Schweregrad wird von den Konsequenzen mitbestimmt. Doch einen Betrug, finanzieller oder privater Natur, werden die wenigsten tagtäglich erleben. Seitensprung! Werden viele der Leser vielleicht jetzt denken! Dieser passiert häufiger als gedacht, schließlich soll im Durchschnitt jeder Zweite schon einmal das heimische Bett verlassen haben. Doch dazu später mehr.

Wer lügt wann und warum?

Finger gekreuzt vor Bett

Die Finger kreuzen, macht das Lügen nicht weniger schlimm. © Alexa LaSpisa under cc

Letztendlich kann Lügen durchaus häufiger auftreten, als die genannten zwei Mal pro Tag. Andere Studien zeigen auf, dass wir in bestimmten Situationen deutlich häufiger lügen. Und auch die Bezugsgruppe scheint eine Rolle zu spielen. Es hat den Eindruck, als wäre Lügen mancherorts salonfähig geworden. Mittlerweile ist der Begriff Lügenpresse in aller Munde. Vieles hat demnach einen Einfluss auf die Frage, ob Lügen schlimm ist.

Lügen in der »Upper Class«

Paul Piff von der University of California in Berkeley konnte mit seinen Forschungskollegen herausfinden, dass besonders in der »Upper Class« die ein oder andere Lüge salonfähig ist. Offenbar ist Lügen gesellschaftlich akzeptierter in höheren Kreisen, wenn es um den eigenen Vorteil und die Finanzen geht. Fraglich ist hierbei allerdings das kausale Geschehen: Meldet sich das ethische Gewissen mit der Dauer der Zeit seltener, je länger man in solchen Kreisen verkehrt? Oder schaffen es sowieso nur bestimmte Persönlichkeitstypen, die ihr Gewissen selten zu Wort kommen lassen, in die oberen Gesellschaftsschichten? Dass die Dichte von Psychopathen im Umkreis von Macht und Geld höher ist, scheint für letztere Vermutung zu sprechen. Allerdings wird die Abhärtung und die soziale Normung, wenn man sich in solchen Kreisen bewegt, auch eine Rolle spielen.
So oder so, der Zusammenhang steht für sich: Man sollte auf der Hut sein, wenn man in höheren Gesellschaftsschichten verkehrt. Die Bankenkrise sei als kleiner Einblick diesbezüglich erwähnt. Die Konsequenzen waren verheerend. Und natürlich sind Lügen von diesem Ausmaß schlimm.

Jedoch nicht nur die Bessergestellten lügen. Auch der kleine Bürger sieht sich Herausforderungen im Alltag gegenüber, bei denen Lügen notwendig erscheint.

Selbstdarstellung: eine Gefahr für die Wahrheit

Kerzenschein, Tisch

Etwas Kerzenschein beim ersten Date und ein wenig Flunkern, um sich ins richtige Licht zu rücken. © Rich Bowen under cc

Besonders in Situationen, in denen wir uns ins rechte Licht rücken wollen, stolpert die ein oder andere Unwahrheit leichter über die Lippen. Aber ist man deswegen gleich ein schlechterer Mensch? Sind solche Lügen schlimm? Oder ist es nicht vielmehr auch als Kompliment für den anderen zu verstehen, dass man ihm gefallen möchte? Sagen wir mal so: Die Dosis macht das Gift. Gut portioniert, lässt sich sicherlich die ein oder andere Überbetonung positiver Wesenszüge verzeihen (und sie wird ja auch forciert, denkt man zum Beispiel an Bewerbungsgespräche). Spricht man dagegen ausschließlich von sich selbst in den höchsten Tönen, wird sich vermutlich der Sozialkontakt von selbst erledigen. Niemand will andauernd Jemandes Lobgesang auf sich selbst vernehmen.

Die Lüge als sozialer Kitt

Eine interessante Funktion hat die Lüge als sozialer Kitt. Nehmen wir einmal an, Mann und Frau befinden sich beim ersten Date und er sagt: »Ich finde dich hübsch, aber deine Ohren … na ja …«, begleitet von nach unten gezogenen Mundwinkeln, die Missfallen ausdrücken. Nicht wenige Damen würden wohl entrüstet schnaufen, manche vielleicht sogar aufstehen und das Restaurant verlassen.
Auch wenn beispielsweise die beste Freundin ihre Doktorarbeit abgegeben hat, monatelang dafür hart gearbeitet hat und man darin einige Fehler findet: Würde man dann die Wahrheit kundtun? Oder wäre es nicht ratsamer, die kleinen Fehler zu verzeihen, stattdessen die positiven Aspekte der Arbeit zu betonen. Denn eine Überarbeitung ist nicht mehr möglich. Die Abgabe ist bereits erfolgt. Wäre in dem Fall Lügen schlimm?

Sicherlich machen diese zwei Beispiele deutlich, warum eine Lüge als sozialer Kitt funktionieren kann. Ein individuelles Abwägen sollte stets erfolgen. Auch bei prekären Situationen wie Seitensprüngen …

Schatz, ich habe dich betrogen!

Sex Schild, Straße bei Nacht

Nahezu überall sind wir mit Sexualität konfrontiert. © Martin Abegglen under cc

Dieser Satz gleicht einem Faustschlag ins Gesicht. Und nein, liebe Damen, die Männer sind nicht das alleinige Problem. An dieser Statistik, dass jeder Zweite schon einmal betrogen hat, hat das weibliche Geschlecht einen gehörigen Anteil. Frauen sollen mindestens genauso oft, wenn nicht gar häufiger als Männer fremdgehen. Ist es nur eine Frage der Möglichkeiten, die sich einem heute bieten? Schließlich, so scheint es, werden wir an jeder Ecke mit Sexualität kofrontiert. Der Sinn liegt auch in der Evolution, so jedenfalls die Theorie der Forscher Shackelford und Goetz.

Die »Spermien-Verbreitungs-These« als evolutionsbiologisch so gern angeführte Entschuldigung der Männer fürs Fremdgehen ist mittlerweile so bekannt wie akzeptiert. Und tatsächlich scheint sie begründet zu sein. Die Forscher konnten zeigen, dass je häufiger Männer und Frauen in einer Beziehung getrennte Wege gingen, desto mehr stieg das sexuelle Verlangen der Männer und desto stärker war ihre Spermienproduktion. Der »Krieg der Spermien« tobt. Und Darwin lässt grüßen, wenn es um die möglichst starke Verbreitung des männlichen Erbgutes geht.

Doch dieser evolutionsbiologische »Krieg« kommt auch den Damen als Ausrede für Seitensprünge zugute. Beobachtungen im Tierreich zeigen, dass manche Weibchen sich mit mehreren Männchen zeitnah paaren, um auch wirklich die besten Spermien für ihre Nachkommenschaft zu erhalten (selbst wenn sie, wie bei einigen Tierarten, mit ihrem Partner die Jungen aufziehen, der nicht notwendigerweise der Erzeuger sein muss). Viele Männchen im Tierreich zerfleischen sich aufgrund der Konkurrenz zueinander nicht. Im Gegenteil: Brüderliches auf die Schulter klopfen scheint angesagt zu sein, zum Beispiel bei den Murikis, südamerikanischen Halbaffen (aus dem Buch: „Der Gesang des Dodo“).

Wer nun glaubt, wir von psymag.de rufen zu Untreue und Unwahrheit auf, dem sei gesagt: Ein Vertrauensbruch belastet oft jahrelang die Beziehung. Familienzusammenhalt und die gemeinsame Aufzucht der gemeinsamen Nachkommen befinden sich auf der anderen Seite der Waagschale im Vergleich zu einem einzigen leidenschaftlichen Moment.

Ob Lügen schlimm ist, ist immer abhängig von der jeweiligen Situation und den damit verbundenen Konsequenzen. Und manchmal dient die Wahrheit hauptsächlich dazu, das eigene Gewissen zu entlasten. Auch kann der Lügner jederzeit ertappt werden, wie der nächste Teil unserer Artikelserie zeigen wird.

Quellen