Trauer ist gewiss keine schöne, aber eine wichtige und komplexe Emotion des Lebens. Wie wir in „Wenn junge Eltern sterben“ schon ausführten, darf die Trauer nicht vorschnell mit einer Depression verwechselt werden.
Trauer ist das Gefühl einer Lücke im Leben, ob im realen oder imaginierten und eines schmerzhaften Verlustes. Trauer bedeutet Abschied zu nehmen, definitiven Abschied zu nehmen, in dem Moment, wo keine Hoffnung mehr auf einen anderen Weg besteht. Eine Chance ist vorbei, ein geliebter Mensch von uns gegangen, endgültig.
In der Trauer fühlen wir uns niedergeschlagen. Alles, was uns sonst Spaß und Freude bereitet hat, ist überzogen von der Bleidecke der Trauer. Etwas fehlt, ist leer, hat nicht nur im Leben eine Lücke hinterlassen, sondern vor allem in unserem Herzen.
Was tun?
Wenn es um Trauer geht, ist weniger fast immer mehr. Schon intuitiv würden wir nicht auf die Idee kommen, einem trauernden Menschen Witze zu erzählen, damit er wieder mal lacht. Trauer braucht ihre Zeit und ihren würdigen, zumindest aber individuellen und geschützten, Rahmen, um vollzogen und irgendwann abgeschlossen zu werden. Den Trauerprozess sollte man auch nicht zu schnell medikamentös unterbrechen, da es sich nicht um einen pathologischen Zustand handelt.
Zu dem wird es erst, wenn man nie wieder aus der Trauer erwacht, aber wer erwartet ernsthaft, dass man bereits wenige Tage oder Wochen nach einem schweren Verlust wieder ist wie zuvor? Der Trauernde braucht erst einmal Zeit. Zeit zum Gedenken an jemanden oder etwas, der oder das gegangen ist, und nun nie mehr wieder kommt.
Der Prozess der Trauer und was traurig ist
Trauer wird in aller Regel als Prozess betrachtet, der in vier Phasen verläuft und die Akut-Phase, die Realisierung, den langsamen Neubeginn sowie die Bewältigung der Trauer umfasst. Am Ende dieses Prozesses ist dem Trauernden der Verlust bewusst geworden, aber im besten Fall zugleich auch ein Gewinn. Der besteht darin, dass der andere nun für immer in mir weiterleben wird. Das durchaus auf eine recht konkrete Weise, wir kommen gleich darauf zurück.
Doch versuchen wir zunächst zu klären, was eigentlich traurig an der Trauer ist. Dass wir Tränen vergießen, untröstlich sind, die Welt als schal und leer empfinden, uns eventuell schwarz kleiden und zurückziehen, sind ja nur Symptome dafür, dass etwas passiert ist. Natürlich ist Trauer ein Verlust, aber wenn es sich um einen anderen, lieben Menschen handelt, was betrauern wir da eigentlich?
Ist es der Platz am Tisch, im Sessel, im Bett, der nun auf einmal leer ist, der Geruch, der fehlt, der uns den Verlust immer wieder vor Augen führt? Bestimmt auch. Sogar die oft im Leben kritisierten oder verfluchten Eigenschaften würden wir in der Trauer unendlich gerne noch einmal erleben und in Kauf nehmen. Jedem ist klar, dass unsere Lebenszeit hier begrenzt ist, nur lebt man im Alltag so, als hätte man noch unendlich viel davon zur Verfügung.
Darum sind Gedankenspiele, die uns aus unseren manchmal eingefahrenen Lebensmustern herausreißen wollen, gar nicht schlecht. Wie würde ich leben, wenn ich wüsste, dass dies der letzte Tag in meinem Leben wäre? Würde ich mich wirklich über all das aufregen, was mir genau jetzt so unendlich wichtig erscheint? Schon Krankheitsdiagnosen, bei denen infolge der Krankheit die verbleibende Zeit höchstwahrscheinlich stark eingeschränkt ist, relativieren sehr viel im Leben. Was wird nun wichtig, was soll man tun? Manche wären vielleicht regungslos und geschockt, andere würden noch mal auf die Pauke hauen, wenn schon gehen, dann mit einem Knall. Auch eine Phase der Reflexion kann beginnen. Eine Alters- und Temperamentsfrage. Vielleicht ist ein Tag auch zu kurz und so kann man sich eine andere Spanne aussuchen. Etwa einen Monat. Auch den kann man zur Megaparty ausbauen, aber viele würden versuchen, in ihrem Leben noch etwas zu ordnen. Jemandem zu verzeihen oder um Verzeihung bitten. Sich zu überlegen, was mit nahen anderen wird.
Und was, wenn wir wüssten, dass nicht wir, sondern ein geliebter anderer in sehr kurzer Zeit sterben wird? Wäre es so wichtig wie gerade jetzt, dass er wieder seine Socken nicht weggebracht oder das Licht angelassen und zu laut gelacht hat? Vermutlich und hoffentlich nicht. Wir würden auf einmal fähig sein, viel, sehr viel, fast unendlich viel zu verzeihen, wenn es sich um einen geliebten Menschen handelt. Auf einmal erscheint uns jede Minute, Sekunde des Lebens mit dem anderen kostbar.
Im Leben schieben wir das, was wir mit dem anderen noch mal machen könnten, besprechen und klären müssten, oft vor uns her. Wir haben ja noch Zeit. Manchmal stellen wir uns sogar etwas bockig an, selbst wir wissen, dass der andere mit seiner Kritik im Grunde Recht hat. Ist der geliebte andere verstorben, tritt uns das, was wir mit ihm noch hätten erledigen sollen und wollen schmerzhaft in den Sinn. Ebenso unsere Unterlassungen, die wir aufschoben, da wir meinten, noch Zeit zu haben. Hätten wir nicht öfter loben und Komplimente machen können? Hätten wir die Kritik des anderen nicht annehmen und vielleicht sogar umsetzen können? Diese Fragen quälen uns, wie gerne würden wir dem anderen einfach nur sagen, wie gern wir ihn hatten und wie sehr er uns fehlt.
Ein Aspekt des Trauerprozesses ist es, diese versäumten Aspekte nun in unser Leben einzubauen. Man winkt nicht ab und sagt, dass nun alles zu spät ist, sondern man versucht einiges im Sinne der Verstorbenen zu ändern, erweist ihm damit einerseits die letzte Ehre und schafft durch die Praxis einen Ort in der Welt, an dem der verstorbene Mensch weiterlebt. Man versucht nun seine Position, nicht selten mehr als im Leben, mitzubedenken und in Entscheidungen einzubeziehen. Man fühlt sich etwas schuldig, dass man das im gemeinsamen Leben versäumt hat und wünscht sich, es wieder gut zu machen. Ein reifer Verarbeitungsprozess, wenn es dazu kommt, einer, der Trauer als reale Größe erscheinen lässt und zugleich hilft, sie zu bewältigen. „Es ist schade, dass Du das nicht mehr erleben kannst, aber das hier tue ich jetzt auch für Dich und anerkenne damit rückwirkend Deine Position im Leben.“ Das schmerzt und heilt. Und es lässt den anderen ein Stück weit weiterleben, was die Verwirklichung der Ideen angeht oft mehr als im „richtigen“, gemeinsamen Leben. Das ist es, was traurig ist und zeigt, warum zu trauern hilfreich ist.
Zurück ins Leben
Ist dieser Prozess angestoßen, öffnen sich von selbst früher oder später neue Türen ins Leben. Zunächst mögen sie es nur einen Spalt breit tun und manche Menschen begegnen ihnen sogar mit einem etwas schlechten Gewissen, das unnötig ist. Noch ist immer mal wieder alles gedämpft, treten schmerzvolle Erinnerungen an den anderen ganz automatisch ins Bewusstsein, doch zunehmend wird sich auch an die schönen Momente erinnert und sie bekommen im besten Falle ihren festen Platz im eigenen Herzen. Es kann unglaublich hilfreich sein, wenn einem so ein konkretes Bild geschenkt wird, dass man den anderen nun buchstäblich fest in seinem eigenen Herzen weiß. Ein friedliches und beglückendes Gefühl der Untrennbarkeit, bei dem gar nicht benötigt wird, nun jede Sekunde an den anderen zu denken. Im Leben ist es ja ebenfalls so, dass wir den Partner bei uns wissen, auch wenn er nicht da ist und wir eigentlich gerade nicht aktiv an ihn denken. Wir tragen das Wissen um seine stille Gegenwart dennoch immer in uns. So kann es uns auch, auf eine andere Art, mit dem Verstorbenen gehen. Und so dringen allmählich immer mehr neue, freudvolle Impulse zu uns durch.
Manche spüren die Anwesenheit des Partners in manchen Momenten geradezu hautnah, für andere ist der Partner für immer gegangen und diese Gewissheit, mit dem Gefühl abzuschließen, hilft ihnen am besten und das ist es auch, worauf zu achten ist, dass die langsamen Schritte zurück ins Leben, die über ein reines Funktionieren hinausgehen, und eine aktive Beteiligung an diesem Leben, wieder gelingen. Jeder hat dafür seine eigene Zeit, jede Trauer ist, wie auch die anderen Bereiche des Lebens, individueller Natur.
So schrecklich der Anlass für die Trauer auch sein mag, so groß die Chance, dass Trauer „selbst unter schmerzlichsten Umständen in eine positive Entwicklung münden“ kann.[1] Wie oben ausgeführt, macht oft erst die Trauer den Wert der Beziehung in ihrem ganzen Ausmaß bewusst und dies stärkt die Fähigkeit zu lieben. Diese wiederum kann hilfreich für eine anschließende Beziehung sein und sie ist zugleich eine der Hauptquellen des Selbstwertgefühls.
Quelle:
- [1] Otto F. Kernberg, Liebe und Aggression, Schattauer 2014, S. 262