Jeder von uns kennt das: Man sitzt vor dem Fernseher, sieht den Werbespot irgendeines Anbieters für Versicherungen, Strom- oder Handytarife etc. und kurzzeitig blitzt das Vorhaben im Gehirn auf, die alten Verträge auch einmal zu überprüfen. Bestandskundenpflege gehört nicht gerade zum Service vieler Anbieter und so hängt man häufig noch in alten Verträgen fest, obwohl dank stärkerem Wettbewerb die neueren Verträge wesentlich mehr Vorteile versprechen. Oder aber wir nehmen uns vor, ein ökologisch angemesseneres Leben zu führen, uns gesünder zu ernähren, häufiger mit dem Rad zu fahren, weil wir eine Dokumentation über zunehmende Umweltverschmutzung gesehen haben.

Und dennoch ändern wir es nicht. In der nächsten Sekunde sind die Vorhaben vergessen. Dass liegt nicht vorrangig daran, dass wir faul wären oder zu wenig Zeit hätten. Vielmehr hat dies psychologische Ursachen, weil unser Gehirn nun einmal versucht, effizient zu arbeiten. Aspekte, die keine große Wichtigkeit für uns haben – etwa weil sie nicht lebensbedrohlich sind – werden ausgeblendet und geraten in Vergessenheit. Gemessen an der Arbeitsweise unseres Gehirns kommt in der Forschung immer wieder die Frage auf: Inwiefern treffen wir Entscheidungen überhaupt selbstständig?

Treffen wir Entscheidungen? Die Effizienz des Gehirns

In der Psychologie gibt es seit vielen Jahrhunderten die Debatte um die Existenz eines freien Willens. Neurobiologische Studien haben diese erneut entfacht.

Bewusste Entscheidung: Existiert der freie Wille?

Viele Entscheidungen, die wir tagtäglich treffen, laufen unbewusst ab. Andernfalls wären wir hoffnungslos überfordert, bedenkt man zum Beispiel allein die Sinneswahrnehmung sowie die gesamte Bewegungskoordination. Experimente zeigen, dass unsere unbewussten Entscheidungen weiter zu gehen scheinen, als wir bisher angenommen haben. Fraglich ist sogar, ob und inwieweit wir überhaupt einen freien Willen haben. In einem neurowissenschaftlichen Experiment der Forschergruppe um John-Dylan Haynes vom Bernstein-Zentrum für Computational Neuroscience, in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, wurde versucht, herauszufinden, ab welchem Zeitpunkt das Gehirn beginnt, Entscheidungen zu treffen, und ob dies geschieht, bevor wir uns darüber bewusst werden.
Dabei kamen die Forscher zu folgendem überraschenden Ergebnis (zitiert nach Max-Planck-Gesellschaft/spektrumdirekt):

„Die Testpersonen konnten in der Versuchsanordnung frei wählen, ob sie mit der rechten oder der linken Hand einen Knopf betätigen. Anhand einer vor ihren Augen abgespielten Buchstabenfolge sollten sie anschließend angeben, zu welchem Zeitpunkt gefühlsmäßig ihre Entscheidung gefallen war. Bereits sieben Sekunden vor der bewussten Entscheidung konnten die Wissenschaftler aus der Aktivität des frontopolaren Kortex an der Stirnseite des Gehirns vorhersagen, welche Hand der Proband betätigen wird. Zwar ließ sich die Entscheidung der Probanden nicht mit Sicherheit voraussagen, die Häufigkeit richtiger Prognosen lag aber deutlich über dem Zufall. Dies deutet darauf hin, dass die Entscheidung schon zu einem gewissen Grad unbewusst angebahnt, aber noch nicht endgültig gefallen war. Nach der Vorbereitung des Entscheidungsprozesses im frontopolaren Kortex, werden die Informationen zur Ausführung der Tätigkeit und zur Festlegung des Handlungszeitpunkts in andere Hirnbereiche übermittelt.“

Haynes und seine Kollegen erklären sich die Ergebnisse folgendermaßen (zitiert nach Max-Planck-Gesellschaft/spektrumdirekt):
„Nach unseren Erkenntnissen werden Entscheidungen im Gehirn zwar unbewusst vorbereitet. Wir wissen aber noch nicht, wo sie endgültig getroffen werden. Vor allem wissen wir noch nicht, ob man sich entgegen einer vorgebahnten Entscheidung des Gehirns auch anders entscheiden kann.“

Konsum, Gewohnheiten und freier Wille?

Auch wenn die Debatte um einen freien Willen noch lange nicht abgeschlossen sein wird, eines sollte uns aufhorchen lassen: Inwieweit kommen diese unbewussten Entscheidungen der Wirtschaft zugute? Warum treffen wir Entscheidungen für weitere Schokoriegel oder Burger-Menüs, obwohl wir keinen großen Hunger haben und wissen, dass diese ungesund sind? Warum wechseln wir nicht bestehende Verträge, wie zum Beispiel Anbieter herkömmlichen Stroms, wenn wir doch die Absicht haben, ökologisch gewonnenen Strom zu nutzen?

Gewohnheiten garantieren uns, dass die Welt um uns genauso wie unser Selbst immer gleich bleiben, wie der Verhaltenstherapeut Nicolas Hoffmann im Interview mit der ZEIT sagt. Aber Gewohnheiten machen uns eben auch unflexibel und starr.
Wir müssen unseren Fokus wieder bewusst auf unser Leben lenken, um Einzelnes darin, mit dem wir unzufrieden sind, ändern zu können.

Selbstaufmerksamkeit und Die Theorie sozialer Vergleichsprozesse

Seifenblasen und lachende Frau

Was macht uns wirklich glücklich im Leben? © Abdulaziz Ceylan under cc

Die evolutionsbiologisch entwickelte Effizienz unseres Gehirns hat sich über Jahrtausende als wichtig erwiesen, aber sie wird uns in der Konsumgesellschaft mit stressigem Arbeitsalltag so manches Mal zum Verhängnis.

Eine bewusste Kontrollübernahme bei eingefahrenen Lebensgewohnheiten (anstatt Verharren im immer Gleichen) ist zwar aufwendiger, geht aber über kurz oder lang mit höherer Selbstzufriedenheit einher. Selbstredend gilt es hier, Maß zu finden. Aber die komplette Verantwortungsabgabe können wir uns nun einmal anhand knapper Geldbeutel oder zunehmender Umweltverschmutzung nicht mehr leisten. Vergleichsportale, wie etwa bei Stromanbietern, erleichtern uns das Treffen bewusster Entscheidungen, indem wir unsere Kognitionen auf Zahlen und Fakten konzentrieren – um neue Updates in unser Leben zu bringen. Macht man sich in dem Zusammenhang die Psychologie beim Ändern von Gewohnheiten bewusst, steht einem selbstkontrollierten Leben nichts mehr im Wege.

Darüber hinaus sind auch soziale Vergleichsprozesse für uns entscheidend. Innerhalb einer Gruppe streben wir nach Ähnlichkeit, zu anderen Gruppen wollen wir uns allerdings abheben – im positiven Sinne. Eine Eigenart des Menschen, die sich natürlich auch die Werbung zunutze macht („Wohnst du noch? Oder lebst du schon?“; „Gibst du deinen Kindern nur etwas zu naschen? Oder sollte es auch gesund sein?“)

Die Bewusstmachung solcher Entscheidungsprozesse hilft, um den Fokus auf eingefahrene Gewohnheiten zu lenken, die Kontrolle wiederzuerlangen und Bestehendes ändern zu können. Und selbst wenn man nur den billigsten Stromanbieter sucht (und auf die ökologische Komponente verzichtet), dann ist das eben so – aber die Entscheidung sollte ungeachtet dessen von einem selbst kommen. Treffen wir Entscheidungen, die uns und unserem Ansinnen nützen, indem wir verstehen, wie menschliche Entscheidungsfindung und die Beeinflussung dieser durch Medien und Konsum erfolgt.